Trauer um Heiner Geißler Scharfmacher und Schlichter

Berlin · Mit Heiner Geißler verliert Deutschland einen wichtigen Querdenker. Der ehemalige CDU-Generalsekretär ist gestern im Alter von 87 Jahren gestorben.

 Ein streitlustiger Querdenker: Als CDU-Generalsekretär (1977 bis 1989) war Heiner Geißler für seine undiplomatische Art bekannt. Zuletzt zeigte er sich jedoch von seiner versöhnlichen Seite: als Vermittler im Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21. Gestern starb Geißler im Alter von 87 Jahren. 

Ein streitlustiger Querdenker: Als CDU-Generalsekretär (1977 bis 1989) war Heiner Geißler für seine undiplomatische Art bekannt. Zuletzt zeigte er sich jedoch von seiner versöhnlichen Seite: als Vermittler im Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21. Gestern starb Geißler im Alter von 87 Jahren. 

Foto: dpa/Marijan Murat

() Laut, schräg, unbequem. Heiner Geißler war nicht der einzige große Ethiker in der Politik. Aber einer der letzten. Regine Hildebrandt und Willy Brandt sind gestorben, Petra Kelly wurde ermordet. Erhard Eppler spricht nur noch selten, Norbert Blüm wird kaum mehr ernst genommen. In der ersten Reihe der Politik herrscht Pragmatismus. Dort verbiegt man sich um des lieben Friedens willen oder schaut weg, weil man die Dinge sowieso nicht ändern kann. Dort geht es um Machtsicherung. Wessen Herz zu groß ist, gilt als weich, und wer für Prinzipien Schlachten schlägt als Querulant. Einzig Klaus Töpfer spielt derzeit noch eine aktive Rolle. Immer wieder wird er bei großen Konfliktfragen als Vermittler angerufen. Er hat moralische Autorität. So wie Heiner Geißler sie hatte. Er starb gestern Morgen im Alter von 87 Jahren.

Geißler galt als Modernisierer, der keine Konflikte scheute und doch auch vermitteln konnte. Und seine Worte hatten Gewicht. Sucht man unter den heutigen politischen Persönlichkeiten eine ähnliche Figur, denkt man vielleicht an Wolfgang Schäuble. Aber der ist zu sehr eingebunden in den politischen Alltag. Zur Lebensgeschichte aller großen Ethiker in der deutschen Politik gehört, dass sie auch mal eingebunden waren. Sonst hätten sie keine Bedeutung erlangt und wären mit ihren Ansichten in literarischen oder philosophischen Zirkeln hängen geblieben. Bei fast allen hat es also große Brüche im Leben gegeben, die sie freilich erst als Kronzeugen des Guten glaubhaft gemacht haben. Vom Saulus zum Paulus. Für Heiner Geißler gilt das ganz besonders.

Kaum einer hat so platt auf die Gegner gehauen, wie er zwischen 1977 und 1989 als CDU-Generalsekretär. Es gipfelte in dem den Grünen entgegengeschleuderten Satz: „Der Pazifismus der dreißiger Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht“. Da war er der Kampfhund der CDU. Eng verbunden war er mit Helmut Kohl, der 1969 Ministerpräsident in Mainz wurde. Gemeinsam prägten der spätere Bundeskanzler und CDU-Chef Kohl und sein langjähriger Generalsekretär die Union. Von 1982 bis 1985 war Geißler auch Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Doch das Verhältnis der beiden war gespannt, später galt es als zerrüttet. Auf dem Bremer CDU-Parteitag 1989 ließ Kohl seinen Chefstrategen absetzen. Geißler seinerseits soll damals auf die Ablösung des CDU-Vorsitzenden hingearbeitet haben. Zur Trauerfeier für den ebenfalls im Alter von 87 Jahren gestorbenen Kohl kam sein einstiger Generalsekretär im Juli aber nach Speyer, um dem Altkanzler dort die letzte Ehre zu erweisen.

Gemeinsam ist den drei CDU-Querulanten Geißler, Blüm und Töpfer, dass sie sich irgendwann von ihrem großen Mentor Kohl abwandten. Weil sie dessen Reformverweigerung nicht mehr mittragen wollten, weil sie dessen Hang zur parteipolitischen Polarisierung falsch fanden, weil sie, alle tief im Christlichen verwurzelt, eine von sozialethischen Vorstellungen geleitete Politik verlangten. Mensch geht vor Macht.

Kaum einer hat seine innere Wende so konsequent vollzogen wie Geißler. Gut, dass er irgendwann aufhörte mit diesem Generalsekretärs-Quatsch. Gut, dass die zweite Seite Überhand gewann, der Jesuitenschüler in ihm. Sein Gespür für Ungerechtigkeiten. Seine Aufmüpfigkeit. Ein Ex-CDU-Generalsekretär, der Mitglied der globalisierungskritischen Organisation Attac wird – das hatte es noch nicht gegeben. Auch keinen, der den Neoliberalismus so massiv geißelte. Wie Klaus Töpfer wurde auch Heiner Geißler häufig als Vermittler angerufen, zuletzt beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21.

 Lange arbeiteten sie zusammen, am Ende war das Verhältnis zerrüttet: 1989 setzte Ex-Kanzler Helmut Kohl (CDU) seinen Chef-Strategen Geißler ab.

Lange arbeiteten sie zusammen, am Ende war das Verhältnis zerrüttet: 1989 setzte Ex-Kanzler Helmut Kohl (CDU) seinen Chef-Strategen Geißler ab.

Foto: dpa/--
 Wer provoziert, muss auch einstecken können: Bei einer Diskussion in Aachen wurde Geißler im Februar 1986 mit einem Farbbeutel beworfen.

Wer provoziert, muss auch einstecken können: Bei einer Diskussion in Aachen wurde Geißler im Februar 1986 mit einem Farbbeutel beworfen.

Foto: dpa/---

Mit großer Überzeugungskraft hat er die letzten 25 Lebensjahre das Menschliche vor das Machtpolitische geschoben. „Wenn moderne Zeiten heißt, dass die Werte wie Schlamm auf den Straßen sind, die es wegzuspülen gilt, sind wir alle verloren“, hat er 2010 in einem Essay geschrieben und gefragt: „Warum sind so wenige Künstler auch Politiker, warum sind so wenige Politiker Feingeister und wirkliche Humanisten? Warum sind die meisten angepasste Feiglinge?“ Die Antwort ließ er offen.

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