Schäuble gegen den Rest der Republik

Erwin Sellering drückt es vor laufenden Kameras eher vornehm aus. "Das führt natürlich zu großer Verärgerung", erklärte der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern nach den Beratungen der 16 Länderchefs über Details des Finanzpaktes, den sie im Oktober mit dem Bund vereinbart haben. Hinter den Kulissen war die Wortwahl zum neuerlichen Gefeilsche gestern weniger zurückhaltend - Zielscheibe des geballten Länderzorns war einmal mehr Wolfgang Schäuble (CDU ). "Ungeheuerlich" und "komplett unverantwortlich" sei das, was der Finanzminister abziehe, um das Grundgesetz mit "abenteuerlichsten Konstrukten" zu ändern und mehr Kompetenzen für den Bund herauszuholen. Man habe den Eindruck, als wollte Schäuble keine Einigung mehr. "Anders", wettert ein Ländervertreter, "sind die kleinen Sabotageakte nicht zu erklären".

 Zumindest gestern stand einmal nicht Angela Merkel im Zentrum der Kritik, sondern Finanzminister Wolfgang Schäuble. Interessierter Zuhörer am Rande: Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Foto: dpa/jutrczenka

Zumindest gestern stand einmal nicht Angela Merkel im Zentrum der Kritik, sondern Finanzminister Wolfgang Schäuble. Interessierter Zuhörer am Rande: Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Foto: dpa/jutrczenka

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Noch am Donnerstagmorgen werden den 16 Länder-Chefs neue Vorschläge präsentiert, um den Beschluss vom 14. Oktober umzusetzen. Die Chef-Unterhändler haben zuvor in mehreren Runden Lösungen ausgelotet - eher erfolglos und nur mit kleinen Annäherungen. Das neue Papier heizt die ohnehin angespannte Stimmung zusätzlich an, die Vorzeichen für das anschließende Spitzentreffen mit Kanzlern Angela Merkel sind alles andere als gut. Beide Seiten werfen sich seit Tagen vor, sich nicht an die Abmachungen zu halten. Jeder reklamiert zugleich für sich, vertragstreu zu sein.

Aus Sicht der Länder aber will der Bund viel zu weit eingreifen und mit mehr Zentralismus "am Grundverständnis des Föderalismus rühren", wie SPD-Mann Sellering meint. CDU-Amtskollege Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt warnt: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine völlig neue Staatsarchitektur bekommen." Für den Juristen Schäuble dagegen kann nicht sein, dass die Länder immer nur mehr Geld wollen und stets ihre Vorstellungen zu Lasten des Bundes durchsetzen. Es hakt schon seit Wochen. Seine Pläne für die Autobahn-Gesellschaft des Bundes musste Schäuble schon zurechtstutzen. Aber die wachsende Kritik an der Beteiligung privater Investoren am Betrieb von Autobahnen ist nicht der einzige umstrittene Punkt. Vereinbart wurden auch bessere Kontroll-, Steuerungs- und Prüfrechte des Bundes bei der Verwendung seiner Mittel und eine neue Aufgabenteilung.

Bisher ist geplant, dass die Länder vom Jahr 2020 an mit gut 9,5 Milliarden Euro weit mehr Geld erhalten als bisher. Die im Gegenzug von Schäuble sowie Union und SPD im Bundestag geforderten Kompetenzen für den Bund blockieren sie aber. "Rosinenpickerei" werfen CDU- und SPD-Bundestagsabgeordnete den Ländern vor und warnen, nicht den Bogen zu überspannen und das Gesamtpaket zu gefährden. Allein seit 2013 habe der Bund die Länder und Kommunen um 265 Milliarden Euro entlastet, so der Bundesrechnungshof . Der oberste Rechnungsprüfer Kay Scheller lässt auch kein gutes Haar am Bund-Länder-Finanzpakt. Die jährlichen Entlastungen von Ländern und Kommunen durch den Bund summierten sich inzwischen auf rund 71 Milliarden Euro . Es würden kaum Verflechtungen abgebaut. Die Abschaffung des horizontalen Länderfinanzausgleichs gehe ganz zu Lasten des Bundes.

 Auch Annegret Kramp-Karrenbauer schien gestern wenig begeistert, was sie hier wohl auch der Kanzlerin kundtat. Foto: dpa

Auch Annegret Kramp-Karrenbauer schien gestern wenig begeistert, was sie hier wohl auch der Kanzlerin kundtat. Foto: dpa

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Geht es nach der Koalition, sollte sich der Bund nicht drängen lassen. Offen blieb, ob das Bundeskabinett bereits am heutigen Freitag das gesamte Gesetzespaket auf den Weg bringt. Auch dann, wenn sich die Spitzenrunde im Kanzleramt, die mit reichlich Verspätung begann, noch nicht geeinigt hat. Es gebe ja das übliche Gesetzgebungsverfahren in Bundestag und Bundesrat, heißt es. Manchem in Berlin ist die Ministerpräsidentenkonferenz als Quasi-Gesetzgeber und Ersatzparlament schon länger ein Dorn im Auge.

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