Sanders trommelt für Clinton

Philadelphia · Bernie Sanders will eine Präsidentschaft Donald Trumps verhindern. Dafür schlüpft er in die Rolle des Versöhners und unterstützt seine Rivalin Hillary Clinton. Viele seiner Anhänger sind aber noch nicht bereit, die Gräben zu schließen.

Kalifornien ist buchstäblich in der Mitte geteilt. Unten sitzen die Delegierten von Hillary Clinton , oben die von Bernie Sanders. "Bernie! Bernie!", skandieren sie auf den oberen Rängen des Stadionblocks in Philadelphia , worauf sie unten ein zorniges "Hillary! Hillary!” anstimmen. Stundenlang wogt es hin und her, stundenlang lassen die Schrei-Duelle an alles denken, nur nicht an den Schulterschluss, den die Parteitagsregie so gern inszenieren würde. Bis Sanders die Bühne betritt und erst mal drei Minuten warten muss, ehe er überhaupt reden kann. Mit stehenden Ovationen wird er gefeiert, der Außenseiter, der der früheren Außenministerin um ein Haar die sicher geglaubte Kandidatur weggeschnappt hätte. Viele im Saal haben Tränen in den Augen. Seine Fans schreien sich die Kehle heiser, falls sie nicht weinen.

Bis ins letzte Detail erzählt der 74 Jahre alte Senator noch einmal, wie gerecht es im Land zugehen würde, wäre er US-Präsident. Dann fügt er sich in sein Schicksal und ruft seine Anhänger auf, Clinton zu unterstützen. Er verstehe, wie enttäuscht sie über den Ausgang des Rennens seien, "niemand ist so enttäuscht wie ich", räumt Sanders ein. Nun aber gelte es, Donald Trump zu verhindern. "Hillary Clinton wird eine herausragende Präsidentin sein, und ich bin stolz, an ihrer Seite zu stehen."

Wenn es nur so einfach wäre. David Bright, ein Farmer aus dem Neuengland-Staat Maine, bleibt jedenfalls bei seiner Meinung. Er stimme grundsätzlich nicht gegen, sondern immer nur für jemanden, sagt er. Und wenn es im November keinen gebe, für den er guten Gewissens votieren könne, einen wie Sanders, bleibe er dem Wahllokal womöglich fern. Das Argument, Hillary den Zuschlag zu geben, um Trump zu stoppen, zieht bei Bright nicht. "Sie ist einfach nicht meine Kandidatin", sagt er und zeigt pikiert auf die zartblauen Plakate.

Wie schwer sich die Demokraten damit tun, ihre Reihen zu schließen, wird zum Auftakt ihres Kongresses schnell klar, nicht nur hinter den Kulissen, sondern manchmal auch auf der Bühne. Als die Kabarettistin Sarah Silverman, eine Sanders-Getreue, sich hinter Clinton stellt, schallen Buhrufe durch das Wells Fargo Center. Dann singt der legendäre Paul Simon mit nicht mehr ganz fester Stimme vom Brückenbau über tosendes Wasser. Und die nächste Brücke schlägt Michelle Obama , die in einer leidenschaftlichen Rede daran erinnert, wie ihr Mann Barack 2008 das Vorwahlduell gewann und wie Clinton die Schlappe weggesteckt hat. "Hillary hat nicht gepackt und ist nach Hause gegangen, weil sie als echte Staatsdienerin weiß, dass es um so viel mehr geht als um ihre eigenen Wünsche und Enttäuschungen." Im Kontrast dazu zeichnet die First Lady eine Skizze Trumps, des aufbrausenden, schnell beleidigten Egomanen. Wer den Geheimcode für Amerikas Atomwaffen zur Hand habe, der dürfe keine impulsiven Entscheidungen treffen, nicht dünnhäutig sein, nicht ständig austeilen wollen, warnt Obama.

Schließlich hat Sanders einen Auftritt, der als Lehrbeispiel in die Politikchronik eingehen könnte, als Anleitung für würdevolles Verlieren. Schon seit Stunden hatte er seine Fans zur Disziplin angehalten. Es schade der eigenen Glaubwürdigkeit, wenn man Leute ausbuhe, Rednern den Rücken zuwende oder demonstrativ den Saal verlasse. "Das ist genau das, was Donald Trump will."

Meinung:

Ein Vorbild für Anstand

Von SZ-Korrespondent Frank Herrmann

Wer Vorbilder für Anstand in der Niederlage sucht, hat mit Bernie Sanders eines gefunden. Zwar hat die neue Galionsfigur der amerikanischen Linken seit dem Ende der Vorwahlen ein paar Wochen gebraucht, um sich ohne Einschränkungen hinter Hillary Clinton zu stellen. Doch mit welcher Würde er seine Anhänger nun zur Wahl seiner Rivalin aufruft, nötigt schlicht Respekt ab. Gewiss, Clinton hat sich durchgesetzt in einem demokratischen Wettstreit. Der Senator aus Vermont hätte wie ein zänkischer Rechthaber ausgesehen, hätte er das Ergebnis nicht akzeptiert. Entscheidend aber war, wie er sich in sein Schicksal fügte, nämlich mit einer wirklich großen Rede zum Auftakt des Konvents seiner Partei. Sanders hat die Weichen gestellt. So lautstark seine Anhänger auch noch einmal den Aufstand geprobt haben, bei der Wahl im November werden ihm die meisten wohl folgen. Wegen der Alternative zu Clinton, wegen Donald Trump .

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