Saarländischer Ex-Minister plant Revolution auf dem Pharmamarkt

Berlin/Saarbrücken · Erstmals kommen die wichtigsten Medikamente des Pharmamarkts auf den Prüfstand. Die Hersteller warnen vor Rationierung. Doch der für die Überprüfungen Verantwortliche Josef Hecken drückt selbstbewusst aufs Tempo.

Die Revolution auf dem Pillenmarkt bereitet Josef Hecken akribisch vor. Der ehemalige saarländische Gesundheitsminister mit CDU-Parteibuch und Ex-Familienstaatssekretär ist die derzeit von den großen Pharmakonzernen wohl am meisten gefürchtete Person in Deutschland. Denn Hecken stellt die umsatzstärksten Arzneimittel auf den Prüfstand. Dafür sitzt der durchsetzungsstarke 53-Jährige als unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken an der zentralen Schaltstelle des deutschen Gesundheitswesens.

In der Auseinandersetzung, in die Hecken derzeit zieht, geht es um insgesamt 14 Milliarden Euro. So viel Jahresumsatz machten die Arzneimittelhersteller zuletzt mit ihren noch unter Patentschutz stehenden, aber schon länger angebotenen Präparaten für die Volkskrankheiten von Millionen Patienten. Umsatzsteuer, Großhandels- und Apothekenzuschläge sowie Rabatte herausgerechnet, lag der Umsatz laut Verband forschender Arzneimittelhersteller noch bei acht Milliarden Euro. Jetzt werden die ersten dieser Mittel neu bewertet. Alle bisherigen Pillenbewertungen des G-BA erscheinen dagegen nur als Vorgeplänkel. Seit dem Start der den Verfahren zugrundeliegenden schwarz-gelben Arzneireform AMNOG 2011 werden neue Präparate auf ihren Zusatznutzen gegenüber den bisher gültigen Therapien geprüft. Jetzt legt Hecken eine Bilanz vor. Von 37 überprüften Mitteln erkannte der Ausschuss in 65 Prozent der Fälle einen Mehrwert der neuen Mittel an, wenn auch nur in sieben Fällen einen beträchtlichen. "Dies ist ein Beleg dafür, dass der G-BA fair bewertet und echte Innovationen nicht kaputtprüft", sagt Hecken. Doch wer den Machertyp und Vielraucher in seinem Büro im ruhigen Berliner Bezirk Tiergarten erlebt hat, weiß: Ihm geht es nicht um Rückschau. Hecken übt sich schon einmal in Vorwärtsverteidigung und wirbt für die kommenden Arzneibewertungen um Vertrauen.

Der Startschuss fällt mit dem Schmerzmittel Tapentadol sowie Medikamenten gegen Osteoporose, Mitteln zur Schlaganfall-Prophylaxe sowie Prophylaxe tiefer Venenthrombosen, mit Antidiabetika und Antidepressiva sowie Arthritis-Präparaten.

Die Beurteilungen des Bundesausschusses könnten den Markt umkrempeln. Wenn die Bewertung eines Topmedikaments nicht so positiv ausfällt, wie das tausende verordnende Ärzte vielleicht erwarten, könnten sie mit ihren Rezepten künftig auf andere Mittel ausweichen. Vor allem aber: Der eigentliche Zweck der Bewertungen sind Preisverhandlungen der Hersteller mit dem Spitzenverband der Krankenkassen. Nur was mehr bringt als frühere Standardtherapien soll künftig auch mehr kosten.

Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (Vfa) argumentiert schon aufgrund der bisherigen Bewertungen: Fair seien die Verfahren nicht, das Ziel sei es, den Medikamenten nur für so wenige Patienten wie möglich einen Zusatznutzen zuzubilligen. Vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer schreckt vor einer drastischen Warnung nicht zurück: "Hier zeichnet sich eine verdeckte Rationierung ab!"

Pharmakritiker bemängeln hingegen seit Jahren, die Konzerne brächten teure Mittel auf den Markt, die oft nur geringfügig anders seien, als bisherige - oder die anfangs mangels breiter Erfahrung sogar schaden könnten.

Nun können sich die Gewinne der Pharmabranche mit teils guten zweistelligen Margen vor Steuern und Zinsen heute durchaus noch sehen lassen. Doch das Unbehagen der Branche über staatliche Regulierungen ist gewaltig. Knickt die Politik noch ein, wenn der Druck der Industrie steigt? Vor der Bundestagswahl wohl nicht mehr, da ist man sich in der Szene einig.

Und entscheidende nächste Schritte folgen nach dem von Hecken vorgelegten Fahrplan auch erst im Spätherbst. Nach der Wahl. Dann müssen die Hersteller Berichte zu den Mitteln vorlegen, die zur Bewertung aufgerufen werden. Und wohl dann folgt auch erst die Ansage, welche Präparate als Nächstes drankommen. Doch Kenner der Branche hegen Zweifel, ob eine neue Bundesregierung an den recht rigiden, aber auch raffinierten Prüfregeln festhält. Von Hecken kann man jedenfalls erwarten, dass er am Ball bleibt - so wie in seiner Zeit als Minister im Saarland. Auch da bombardierte er die Medien fast täglich mit Pressemitteilungen, um seiner Position Nachdruck zu verleihen. Er dürfte sich nicht geändert haben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort