Diskriminierung „Ich hasse den Begriff Heimat“

Wo fühlt man sich zu Hause und was bedeutet es, nicht so zu sein wie die Anderen? Sechs Saarländer berichten, welche Erfahrungen sie mit Hass und Diskriminierung gemacht haben – aus sechs ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Dario Contrino, 20 Jahre alt, Student aus Dillingen

Foto: Robby Lorenz

Es war als offener Aufruf gedacht – und mündete in einem unerwarteten Shitstorm: Die SZ veröffentlichte Mitte August auf ihrer Facebook-Seite einen Video-Beitrag, der zum Ziel hatte, auf die Geschichten von Saarländern aufmerksam zu werden, die aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder eines ausländischen Akzents Diskriminierung erfahren haben. Es handelte sich um einen Aufruf, der sich an keine bestimmte Alters- oder Bevölkerungsgruppe richtete. Innerhalb weniger Tage wurde das Video mehr als 15 700 Mal angeklickt und 52 Mal geteilt. Die Kommentarspalte füllte sich binnen weniger Tage mit mehr als 400 Beiträgen. Die meisten Kommentatoren drückten Unverständnis aus und unterstellten eine Diskriminierung von „Deutschen“. Einige warfen unserer Zeitung „Regierungspropaganda“ und „Manipulation“ vor, andere nutzten die Kommentarspalte, um ihrem Ärger über „kriminelle Ausländer“ Luft zu machen. Die Zahl derjenigen, die dem Aufruf wirklich gefolgt sind und ihre Erfahrungen geteilt haben, war im Vergleich zu den Reaktionen im Netz überschaubar. Einige baten um Anonymität. Die SZ stellt sechs Geschichten vor.

Mein Name ist Dario Pietro Maria Contrino (Bild oben), und ich bin italienischer Staatsbürger. Meine Mutter kommt aus Kroatien und meine Großmutter aus Serbien. Trotz meines vieldimensionalen Heimatbegriffs fühle ich mich in Deutschland nie so richtig „zu Hause“, auch wenn ich hier seit meiner Geburt lebe. Als ich noch in der Grundschule war, – ich war sieben oder acht Jahre alt – habe ich im lokalen Fußballverein gespielt. Irgendwann wurden die ausgrenzenden Kommentare meiner „Freunde“ und „Freundinnen“ immer deutlicher. Neben Aussagen wie „Spaghettifresser“ oder „wegen dem scheiß Italiener haben wir das Spiel verloren“ gab es wohl mehrere, aber das sind die Aussagen, die mich bis heute verfolgen. Wir waren noch sehr jung, aber es war sehr verletzend. Ich kann mich auch seitdem hier nicht wirklich zu Hause fühlen. Ich fühle mich als Italiener, Kroate und Serbe. Am meisten zu Hause fühle ich mich in Kroatien. Immer „der Andere“ zu sein prägt einen und zwingt einen, die „Heimat“ woanders zu suchen. Wobei ich den Begriff Heimat hasse, weil er so ausschließend ist. Im Gegensatz zu früher fühle ich mich an der Uni nun viel wohler. Die Studenten sind viel offener und internationaler als meine ehemaligen Fußballfreunde.

Wir sind eine deutsch-ägyptische Familie und wohnen seit Anfang des Jahres in Saarlouis. Ich bin Original-Saarländerin, die zuvor jahrelang in der Türkei und Ägypten gearbeitet hat, mein Mann kommt aus Kairo. Wir sind seit Oktober 2017 in Deutschland. Zunächst haben wir hier sehr positive Erfahrungen gemacht. Mein Mann hat früher in der ägyptischen Handball-Nationalmannschaft gespielt und spielt nun hobbymäßig bei der HG Saarlouis. Auch bei der Wohnungssuche waren unsere Erfahrungen positiv. Allerdings hatten wir große Probleme, als sich mein Mann mit dem Export von Sportartikeln selbstständig machen wollte. Wir klapperten eine Bank nach der anderen ab. Egal ob Deutsche Bank, Postbank, Commerzbank, Sparkasse oder Bank 1 Saar: Wir konnten bei keiner Bank ein Geschäftskonto eröffnen. Jede stationäre Bank im Saarland hat das entweder mit der Begründung, er könne nicht genug Deutsch, oder wegen des befristeten Aufenthaltstitels abgelehnt. Am Ende haben wir ein Online-Konto bei einem Anbieter für Start-Ups eröffnet. Statt die Unternehmensgründung für Nicht-EU-Bürger zu erleichtern, legt man Steine in den Weg. Ich bin sicher, das neue Konto wäre kein Problem gewesen, wenn mein Mann US-Amerikaner wäre.

Sandra Saber, 41 Jahre alt, Lektorin und Journalistin aus Saarlouis

Foto: Robby Lorenz

Ich lebe seit 40 Jahren in Deutschland und fühle mich meinem Herkunftsland Chile sehr verbunden. Ich arbeite im psychosozialen Bereich, als Supervisor und in der Behandlung von Suchtkranken. Ich habe in meiner Berufspraxis beobachtet, dass die Umsiedelung für viele russische Migranten in den 90er Jahren wie eine Entwurzelung war. Ein junger Mann zum Beispiel, der beim ukrainischen Fußballverein Dynamo Kiew spielte, kam nach Deutschland, verlor seine Freunde und den Anschluss an den Verein. Hier angekommen interessierte sich niemand für seine Vergangenheit, er musste wie viele andere nur noch funktionieren. Dabei wäre es gerade für die Integration förderlich, wenn wir Menschen das Gefühl geben, sie können die Erfahrungen aus ihrer Heimat hier einbringen. Sonst bleibt eine starke Sehnsucht nach der Vergangenheit. So kommen viele hier nie richtig an. Migranten brauchen Raum, sich mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen, um ihre interkulturellen Kompetenzen hier produktiv zu nutzen. Umgekehrt sollten wir als Migranten nicht von den Deutschen erwarten, dass sie unser Fremdsein einfach ausblenden. Die Kommunikation über das Anderssein bringt uns erst näher – ohne sie geht es nicht.

Auch weiß zu sein und aus Mitteleuropa zu kommen, kann bedeuten, anders zu sein. So habe ich, als ich mit 27 Jahren die Wahlstation meines Referendariats bei der Botschaft in Jakarta absolvierte, erfahren müssen, wie unangenehm es sein kann, wegen meiner Herkunft und Hautfarbe immer und überall aufzufallen. Ich hatte weder die finanziellen Mittel, ständig ein Taxi zu nehmen, noch wollte ich das, denn ich wollte ja dieses Land und seine Leute erleben. Deshalb habe ich in der Stadt hauptsächlich, wie die „einfachen“ Indonesier auch, die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt. Allein den Fußweg zur Bushaltestelle empfand ich mitunter als Spießrutenlauf. Keine 500 Meter konnte ich gehen, ohne dass mir jemand „Mister, Mister!“ hinterherrief (weiße Frauen und Männer werden dort gleichermaßen so genannt) oder mich anfassen wollte. Dass ich als Weiße Geld haben muss, stand außer Frage. Jede Minute, die ich außerhalb der geschützten Räume der Botschaft oder außer Haus verbrachte, war anstrengend. Jede Minute war ich mit meiner Andersartigkeit konfrontiert, dabei wollte ich so gerne dazugehören. Dass Diskriminierung auch in die aus unserer Sicht umgekehrte Richtung existiert, hat mich sehr geprägt.

Fernando Espinoza, 67 Jahre alt, Psychotherapeut aus Saarbrücken

Foto: Robby Lorenz

Mein leiblicher Vater ist afrikanischer Abstammung, meine Mutter Deutsche. Ich verbrachte die ersten Monate meines Lebens mit meiner leiblichen Schwester in Tunis, anschließend im Saarland. Meine frühste Erinnerung an Diskriminierung geht zurück auf ein Erlebnis in Neunkirchen. Ich war drei Jahre alt, und ein Junge nannte mich „Negerlein“. Das „Anderssein“ wurde mir aber erst richtig bewusst, nachdem meine Mutter einen weißen Mann heiratete und wir Halbgeschwister bekamen. Wir zogen nach Kanada, und mein Stiefvater ließ meine ältere Schwester und mich, die „Dunkelhäutigen“ also, spüren, dass wir anders waren. Es war die Zeit von Martin Luther King, der Rassenkonflikt in den USA war auch nach Kanada übergeschwappt. Kinder bewarfen mich mit Steinen und beschimpften mich als „Nigger“. Das begleitete mich bis zum Alter von 38. Ich machte die „Farbigen“ für meine Erlebnisse verantwortlich. Deshalb begann ich selbst, schwarze Menschen zu meiden. Bis ich mich eines Tages im Urlaub mit einem Schwarz-Afrikaner unterhielt und spürte: Wir haben mehr gemeinsam als gedacht. Im Saarland erlebe ich keine Ausgrenzung mehr, aber ich möchte auch hier weiterhin gegen Rassendiskriminierung kämpfen.

Angela Eicher, 37 Jahre alt, Juristin aus Kirkel , lebte mit 27 in Indonesien

Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb/dpa Picture-Alliance / Mast_Irham

Monya Gregorius, Deutsch-Kanadierin, arbeitet bei Saartoto

Foto: Robby Lorenz

Anonym, Busfahrer aus Saarbrücken, Herkunft: Deutschland

Foto: Robby Lorenz

Vor ein paar Monaten stieg eine Gruppe von fünf jungen Männern arabischen Aussehens in meinen Bus ein und verlangte eine Gruppentageskarte nach Lebach. Ich schloss daraus, dass es sich höchstwahrscheinlich um Flüchtlinge handelte. Es war 6.15 Uhr morgens, und die verlangte Karte darf laut Tarifbestimmungen erst ab 8 Uhr verkauft werden. Das gab ich ihnen auf Deutsch und Englisch zu verstehen. Unter sichtlichem Ärger und Widerwillen kaufte dann jeder der fünf einen Einzelfahrschein. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich tot vom Fahrersitz gefallen. Am Hauptbahnhof ist die Gruppe hinten ausgestiegen und nach vorne zu der noch offenen Fahrertür gekommen. Einer von ihnen hat in meine Richtung gespuckt und Gott sei Dank nur den Zahltisch getroffen. Einer rief „Fucking Nazischwein“, ein anderer zeigte mir den Mittelfinger und schlug noch mit der Faust gegen die Frontscheibe. Danach sind sie Richtung Hauptbahnhof weitergezogen. Aggressionen dieser Art erlebe ich öfter. Auch wenn ich sagen muss, dass sich der überwiegende Teil der Migranten anständig verhält. Was ich aber bei vielen Arabern beobachte: Sie sind immer gleich auf 180. Vielleicht hängt das mit den Erlebnissen in ihrem Heimatland zusammen.