Massive Kritik an Saar-Busunternehmen Kommt der Bus oder kommt er doch nicht?

Saarbrücken · Fahrer von Saar-Unternehmen wehren sich gegen Angriffe von Kunden. Heute Härtetest in Saarbrücken mit reduziertem Fahrplan.

 Patrick Kempf (30) fährt gerne Gelenkbusse. Er fordert familienfreundlichere Arbeitsbedingungen in den Betrieben.

Patrick Kempf (30) fährt gerne Gelenkbusse. Er fordert familienfreundlichere Arbeitsbedingungen in den Betrieben.

Foto: BeckerBredel

Heute beginnt im Saarland wieder die Schule. Auch der Vorlesungsbetrieb an der Uni nimmt seine Arbeit auf. Beides wird im Großraum Saarbrücken zu einer riesigen Bewährungsprobe. Fahren die Schulbusse oder müssen sich Eltern auf böse Überraschungen einstellen, weil ihre Kinder vergeblich an der Haltestelle warten? Kommt es zu Beschimpfungen, weil Studenten wie Bedienstete der Saar-Universität keinen Platz mehr finden in überfüllten Bussen? Saarbahn-Geschäftsführer Peter Edlinger versichert, dass das Unternehmen die Lage im Griff hat. ,,Wir sind vorbereitet und werden nicht scheitern. Wir werden das packen.“

Seit Monaten stehen sowohl die Saarbahn als auch viele andere Busbetriebe im Saarland, ob kommunal oder privat, unter immer heftigerem Beschuss zahlreicher Kunden. Besonders stark zeigt sich das in der Landeshauptstadt, weil bis Ende Januar 2019 weniger Busse fahren. Verursacht vor allem durch fehlendes Personal bei den privaten Betrieben, die im Auftrag der Saarbahn fahren. Doch auch der Saarbahn fehlt Personal. Sie hat seit Juli 58 Fahrer eingestellt, neun stehen vor dem Vertragsabschluss. Es fehlen noch 15 Fahrer. Bis Ende Januar stünden auch die zur Verfügung, gelte wieder der Regelfahrplan. Das stellt Edlinger klar.

Fast alle Betriebe, ob kommunal oder privat, klagen über Fahrermangel. Der Markt ist bundesweit leer gefegt. Diejenigen, die auf den Strecken unterwegs sind, werden immer häufiger zur „Zielscheibe“ des Kundenprotestes. Beleidigungen, Drohungen, ja sogar körperliche Angriffe gehören schon zum gewohnten Bild. Zahlreiche Fahrer berichten unserer Zeitung davon. Saarbahn-Geschäftsführer Edlinger reagiert inzwischen selbst fassungslos. ,,Die Verrohung der Sitten ist ein allgemeines gesellschaftliches Problem. Fast keiner sagt mehr danke, bitte oder hält jemandem die Türe auf. Unsere Busfahrer werden sogar schon körperlich angegriffen. Ich finde das zum Kotzen.“ Selbst Anti-Aggressions-Trainings, die das Unternehmen anbietet, helfen unterwegs nicht in jeder Situation. Auch in der Saarbahn sei Schwarzfahren für viele völlig normal. ,,Wir haben gegenwärtig die Situation, dass Busfahrer in die Bahn steigen, um zu ihrem nächsten Ablösepunkt zu kommen, da steigen plötzlich die Hälfte der Mitfahrer aus.“ Jetzt stockt die Saarbahn die Zahl der Kontrolleure massiv auf und kontrolliert wieder rund um die Uhr.

Unter den Busfahrern ist die Stimmung mittlerweile explosiv. Ramazan Atici (47) aus Eppelborn, der für die Saarbahn fährt und zuvor beim Privatunternehmen Saarbus beschäftigt war, wird deutlich: ,,Mir wurde schon von Fahrgästen ins Gesicht gespuckt. Leute sagen einfach Arschloch zu mir. Es reicht mir jetzt! Ich kann nichts für Verspätungen oder Busausfälle. Meine Kollegen auch nicht. Wir bekommen alles ab.“ Werner Schmitt (64), der für den Privatunternehmer Baron im Auftrag der Saarbahn Linien fährt, sagt: ,,Die Leute sind deprimiert, weil sie für eine Jahres- oder Monatskarte bezahlen, aber der Bus kommt nicht.“ Abokunden der Saarbahn bekommen inzwischen bei Busausfällen oder längeren Verspätungen eine Service-Garantie. Jahreskarten-Inhabern etwa werden nach Überprüfung des Falles die Kosten für ein Taxi von bis zu 20 Euro zum Erreichen der Zielhaltestelle erstattet.

Claudia Selzer, 35, fährt für Hartz Reisen im Auftrag der Saarbahn. Keiner fahre mehr gerne durch Malstatt oder Burbach, weil man immer wieder von Leuten, egal ob Deutschen oder Ausländern, beleidigt, beschimpft und zuweilen auch angegriffen werde. Dass im Bus nicht gegessen werden darf und Alkoholverbot besteht, sei bekannt. Doch man könne immer wieder das „Plopp“ von Bierflaschen hören. ,,Soll man deshalb als Fahrer hingehen, auf das Alkoholverbot hinweisen und sich dann verschlagen lassen“, fragt Selzer.

Wir begleiten Patrick Kempf (30), aus Saarbrücken auf seinem Dienst der Linie 105 zwischen Eschberg und Rodenhof. Es ist Freitagmorgen kurz nach 7 Uhr am Römerkastell. Kempf steuert einen Gelenkbus der Firma Fischer im Auftrag der Saarbahn. Eins fällt auf: Während der gesamten Tour zwischen Römerkastell und Rodenhof sagt kein Fahrgast mal ,,Guten Morgen“ oder hat wenigstens ein freundliches Lächeln für den Fahrer übrig. Ticket vorzeigen und fertig. ,,Ich finde das schade, aber ich habe mich schon daran gewöhnt“, sagt Kempf. Er fährt gerne Gelenkbusse, möchte Busfahrer bleiben. Doch ihn stören die vielen Dienste an Wochenenden, an denen er seine Familie nicht sieht.

Wenn Busunternehmen Personal finden wollen, dann müssen sie familienfreundlichere Arbeitsbedingungen und entsprechende Schichten einführen, sagt Kempf. Viele Fahrer, vor allem von Privatunternehmen, stören sich an nicht bezahlten Pausen und geteilten Diensten. In einem geteilten Dienst fährt man zum Beispiel vormittags, macht eine längere Pause und absolviert den Rest des Dienstes am späteren Nachmittag. Viele verbringen ihre nicht bezahlten Überbrückungspausen deshalb im Depot. Nach einer Betriebsvereinbarung fahren bei der Saarbahn nur solche Fahrer geteilte Dienste, die dafür an Wochenenden, ­Sonn-, und Feiertagen frei haben. Geteilte Dienste seien nicht komplett vermeidbar, zumal man den Betrieb auch an Wochenenden aufrecht erhalten müsse, betont Edlinger.

Mittlerweile steigt an der Saar der Krankenstand auffällig an. Schlimmer noch. Auch die Solidarität der Fahrer untereinander nimmt ab. So hat das saarländische Privatbusunternehmer Lay in einem Schreiben an die Beschäftigten moniert, dass sich „bei einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Vergangenheit die Zahl der Krankenscheine deutlich erhöht hat“. Weiter heißt es: ,,Wir haben begründete Zweifel daran, dass in jedem Fall, in dem uns ein Krankenschein vorgelegt wird, tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt.“ Man wolle nicht länger zusehen, zumal verbliebene Kolleginnen und Kollegen die Arbeit mit erledigen müssten. Ein noch heftigerer Vorwurf folgt: ,,Anscheinend hat es sich als probates Mittel erwiesen, die Anzahl der Urlaubstage einfach durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufzustocken.“

Zuweilen werden auch Fahrer im Krankenstand angerufen, ob sie nicht doch arbeiten können, ist aus einem anderen Unternehmen zu erfahren. Viele privaten Fahrer wechseln zu Kommunalbetrieben, weil diese besser bezahlen inklusive Urlaubs- und Weihnachstgeld. Doch auch die Kommunalen werben sich Fahrer ab. Edlinger verweist auf das Einstiegsgehalt von 2500 Euro brutto, was im Vergleich zu anderen Branchen nicht schlecht sei. Die Saarbahn müsse streng auf die Wirtschaftlichkeit achten und in den kommenden Jahren einen Restrukturierungsplan in Höhe von mehreren Millionen Euro umsetzen. Nur so könne man europäische Vorgaben der Direktvergabe umsetzen. Die EU gibt Richtlinien an die Unternehmen vor. Edlinger sieht die Gefahr, dass Busunternehmen aus ganz Europa künftig den Saarländern zahlreiche Strecken wegnehmen können, wenn sie ein attraktiveres Angebot machen. Erfülle man 2019 die europäischen Vorgaben, könne man allen Saarbahn-Fahrern eine zehnjährige Beschäftigungssicherung bieten.

 Sie berichten über Erfahrungen: (v.l.) Busfahrer Ramazan Atici, Verdi-Sekretär Christian Umlauf, Fahrer Werner Schmitt und Fahrerin Claudia Selzer.

Sie berichten über Erfahrungen: (v.l.) Busfahrer Ramazan Atici, Verdi-Sekretär Christian Umlauf, Fahrer Werner Schmitt und Fahrerin Claudia Selzer.

Foto: BeckerBredel
 Saarbahn-Geschäftsführer Edlinger findet Angriffe auf Busfahrer „zum Kotzen“.

Saarbahn-Geschäftsführer Edlinger findet Angriffe auf Busfahrer „zum Kotzen“.

Foto: Iris Maria Maurer

Christian Umlauf, Gewerkschaftssekretär für den Bereich Verkehr bei Verdi, hält jetzt erst einmal eine höhere Attraktivität des Busfahrer-Berufes und flexiblerere Dienstplänen für vorrangig. Dafür will Verdi möglicherweise noch in dieser Woche streiken. Zunehmend Zustimmung bekommt die Gewerkschaft für ihre Forderung nach nur noch einem landesweiten Verkehrsunternehmen, das für den Busverkehr zuständig ist. Selbst der Verkehrsverbund habe nichts anderes gebracht als jährlich steigende Ticketpreise. Umlauf sieht eine Bankrotterklärung. Und wo bleibt die Landesregierung? Die ist nach Beobachtung vieler Fahrer abgetaucht. „Sie glauben doch nicht, dass da einer mit uns im Bus fährt und sich die Probleme ansieht. Aus Dienstlimousinen und Bürofenstern heraus sieht man das nicht“, sagt einer der Fahrer. Die Wut wächst, auch auf Wirtschafts- und Verkehrsministerin Anke Rehlinger. Die müsse liefern, bevor das Bussystem im Saarland am Ende ist.

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