Rütteln am letzten Fußball-Tabu

Berlin · Homosexualität ist in Deutschland weitgehend akzeptiert. Schwule und Lesben werden respektiert. Nicht so in der Hochburg des Männlichkeitskults – dem Fußball. Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger weicht nun mit seinem Coming-out ein Tabu auf.

Fast acht Jahre lang hat sich die Castingshow hingezogen: Deutschland sucht den schwulen Superkicker. Im Dezember 2006 hatte das inzwischen eingestellte Fußballmagazin "Rund" die Debatte begonnen, Titel der Ausgabe: "Einer von elf Profis ist schwul." Seitdem gab es Spekulationen und Prognosen. Berichte über anonyme Kicker wurden mit Schattenrissen und rosafarbenen Rahmen illustriert. Homosexualität wurde als verrucht umschrieben, schlüpfrig, und somit als ungleichwertig gegenüber Heterosexualität. Der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger reißt die Thematik nun aus dem Schatten ins Licht in einem Interview mit der "Zeit". Der 31-Jährige stößt eine Diskussion an, die in der Theorie schon ein Dutzend Mal durchgespielt wurde. Werden Fans, Vereine und Medien den Realitätstest bestehen?

Thomas Hitzlsperger erhält Respektsbekundungen von allen Seiten. Der Fußball kann sich als liberal verkaufen. Doch welche Auswirkungen wird das Coming-out haben? Wird die Diskussion in einen Personenkult münden, mit Boulevard-Schlagzeilen und Talkshow-Marathon? Oder nutzen Spieler, Vereine, Verbände die Aufmerksamkeit, um Strukturen des Fußballs zu hinterfragen? Den Männlichkeitskult, die Glorifizierung von Spielern, das Überlegenheitsdenken der Fans. Die gefühlte Leistungsnorm im Fußball ist männlich, hetero, weiß. "Kampf, Leidenschaft und Siegeswille sind untrennbar miteinander verknüpft", sagte Hitzlsperger der "Zeit". Das passe nicht zu dem Klischee, das sich viele Leute von einem Homosexuellen machten: "Schwule sind Weicheier."

Hitzlsperger geht nach dem Ende seiner Karriere an die Öffentlichkeit, er muss sich nicht mehr in Spielerkabinen und vor gegnerischen Fans behaupten. Seine Entscheidung ist wichtig, aber sie als Zeitenwende der Sportgeschichte zu verorten, könnte den Kern des Problems verstellen. Drei Beispiele: 2008 setzte der deutsche Fußballtrainer Christoph Daum Schwule indirekt mit Pädophilen gleich. Nach einem ARD-Tatort 2011 über schwule Kicker bezeichnete Oliver Bierhoff, Manager der deutschen Nationalmannschaft, die fiktive Aussage eines Protagonisten als "Angriff auf die Familie der Nationalelf". Sepp Blatter, Präsident des Weltfußballverbandes Fifa, sagte mit Blick auf die WM 2022 in Katar, wo gleichgeschlechtlicher Sex mit Haft bestraft wird, dass Homosexuelle "jegliche sexuelle Aktivität unterlassen" sollten. Daum, Bierhoff und Blatter kleideten verbreitete Ressentiments in scheinbar harmlose Worte.

In einer Langzeitstudie zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit der Universität Bielefeld haben ein Viertel der Befragten folgender Aussage zugestimmt: "Es ist ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen." Es ist wahrscheinlich, dass schwulenfeindliche Einstellungen im Stadion noch schneller in schwulenfeindliches Verhalten übergehen: Viele Fans nutzen den Begriff "Schwuchtel", um in der Anonymität der Masse ihren Gegner herabzuwürdigen. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin, die nach einem deutschen Sexualforscher und frühen Aktivisten gegen Homophobie benannt ist, will mit einem Aufklärungskonzept im Nachwuchsfußball Klischees aufweichen. Auch der Deutsche Fußball-Bund hat erst im Sommer eine Broschüre zum Thema veröffentlicht. Ihre Konzepte können nun auf einen Botschafter verweisen. Thomas Hitzlsperger sagte der "Zeit", Homosexualität werde im Fußball "schlicht ignoriert". Bis heute kenne er keinen Fußballer persönlich, der das zu seinem Thema gemacht habe.

Der DFB und der Deutsche Olympische Sportbund haben Hitzlsperger ihre Unterstützung zugesagt. Noch 1995 drohte der DFB seinen Nationalspielerinnen mit dem Ausschluss, sollten sie an der Europameisterschaft der Lesben und Schwulen teilnehmen. Unter dem ehemaligen Präsidenten Theo Zwanziger hatte der Verband dann Stellung bezogen. Der DOSB hatte sich dagegen nicht offensiv positioniert. Ob das nun anders wird? Bald beginnen in Sotschi die Olympischen Winterspiele. Homosexualität kann dort staatlich bestraft werden.

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