Rückblick auf einen historischen Sieg für die Sozialdemokratie

Berlin. Am 27. Oktober 1998, kurz vor zwölf Uhr mittags, brandet unbeschreiblicher Jubel auf im Bonner Bundestag — bei SPD und Grünen. Geradezu erstarrt reagieren Union und FDP auf die Mitteilung des sozialdemokratischen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse

Berlin. Am 27. Oktober 1998, kurz vor zwölf Uhr mittags, brandet unbeschreiblicher Jubel auf im Bonner Bundestag — bei SPD und Grünen. Geradezu erstarrt reagieren Union und FDP auf die Mitteilung des sozialdemokratischen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse. Der neue Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat bei seiner Wahl soeben sechs Stimmen mehr erhalten als seine rot-grüne Koalition im Bundestag Sitze hat. Um sich angesichts der schlechten aktuellen Umfragewerte Mut zu machen, erinnert sich die SPD in diesen Tagen gern daran, dass sie schon seit zehn Jahren im Bund regiert. Die Partei hatte bei der Bundestagswahl 1998 mit 40,9 Prozent einen historischen Wahlsieg eingefahren, ein Ergebnis von dem die Genossen heute nur noch träumen können. "Die Wirklichkeit holte uns schneller ein, als uns lieb war", wird Schröder später über die Anfänge der rot-grünen Ära sagen. Der Eintritt Deutschlands in den Kosovo-Krieg und der fluchtartige Abgang des Finanzministers und SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der seine ehemalige Partei als Linke-Chef bis heute mit biblischer Rache verfolgt, stürzen SPD und Grüne in bittere Konflikte. Es folgen Zerreißproben um weitere Militäreinsätze im Anti-Terror-Kampf, bei anderen Themen wie Homo-Ehe, Zuwanderung oder Energiewende können sich SPD und Grüne als Reformmotoren profilieren. Neben der mutigen Absage an den Irak-Krieg steht die zweite Legislaturperiode der rot-grünen Ära ganz im Zeichen der "Agenda 2010". SPD und Grüne müssen das Land mit Arbeitsmarktreformen fit machen für die Globalisierung. Vor allem die Sozialdemokraten büßen für "Hartz IV" mit einer Serie von Wahlniederlagen. Die Linke kann sich als dauerhafte bundespolitische Kraft etablieren. Die Regierungspartei SPD habe in ihren zehn Jahren an der Macht "im Kerngeschäft versagt", heißt es in einem aktuellen Papier der Linkspartei: "Ob Einkommen, soziale Sicherung, Bildung oder Regulierung der Finanzmärkte — vieles ist schlechter geworden." Millionen Menschen hätten stärker denn je das Gefühl, "in einer ungerechten Gesellschaft zu leben". Bis heute bestimmt der Streit um die "Agenda 2010" auch die innerparteiliche Debatte in der SPD. Während Partei-Linke eine Zurücknahme sozialer Zumutungen verlangen, mahnt der Kanzlerkandidat und Außenminister Frank-Walter Steinmeier - in rot-grünen Zeiten Kanzleramtschef - die Genossen: "Vor zehn Jahren lagen wir im internationalen Vergleich weit zurück. Heute sind wir vorne. Das ist das Ergebnis von zehn Jahren unserer Arbeit in der Bundesregierung, und darauf dürfen wir stolz sein!" Im Rückblick sei das für die SPD "eine verdammt schwere Zeit" gewesen. Union und FDP hätten 1998 Millionen Arbeitslose, leere Sozialkassen, eine Rekordneuverschuldung und einen riesigen Reformstau hinterlassen. "Wir sind es gewesen, die dieses Schiff wieder flott und stark gemacht haben! Wir haben unser Land modernisiert und neu aufgestellt! Wir waren das!", sagt Steinmeier und klagt damit nicht ohne Anlass die Urheberschaft der SPD für die Reformen ein. Schließlich wildert die Union unter CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel etwa in der Familienpolitik schon länger erfolgreich in sozialdemokratischen Gefilden. 2005 hatten der fulminante Wahlkämpfer Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering ihre Partei zu einem Beinahesieg und schließlich als Juniorpartner in die große Koalition geführt. Auch nach 2009 wollen die Sozialdemokraten regieren, schließlich heißt ihr Vorsitzender jetzt wieder Franz Müntefering, und dessen Motto lautet: "Opposition ist Mist". Nur als Regierungspartei könnten die Sozialdemokraten auf Dauer politikfähig bleiben und sich immer wieder selbst erneuern.

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