Rot-Rot-Grün und andere Tabubrüche

Berlin · Über den Umgang mit der Linken, die über die PDS bis auf die SED zurückgeht, ist bei der SPD schon viel gestritten worden. Jetzt wollen sich die Sozialdemokraten in Thüringen auf eine Regierung unter Führung der Linken einlassen.

25 Jahre nach dem Mauerfall freunden sich SPD und Grüne in Thüringen mit dem Gedanken an, einen Ministerpräsidenten der Linkspartei zu akzeptieren. Ein Tabubruch in der Geschichte bundesdeutscher Koalitionsbildungen. Aber beileibe nicht der erste. "Eine Zusammenarbeit mit ihr kommt nicht in Frage." So stand es in der "Dresdner Erklärung" vom August 1994. Damit suchten sich der damalige SPD-Chef Rudolf Scharping und ostdeutsche Funktionsträger der Sozialdemokraten von der PDS zu distanzieren, die aus der DDR-Staatspartei SED entstand und mittlerweile in der Linkspartei aufgegangen ist. Doch das Dokument von Dresden war schon zum Zeitpunkt seines Erscheinens überholt. Am 21. Juli 1994 hatte sich der SPD-Politiker Reinhard Höppner in Sachsen-Anhalt zum Chef einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen lassen - auch mit Stimmen der PDS . Dieses sogenannte Magdeburger Modell, bei dem die SED-Erben gewissermaßen unsichtbar am Kabinettstisch saßen, markiert die Geburtsstunde eines rot-rot-grünen Bündnisses. Das Magdeburger Modell sorgte für hitzige Diskussionen über den Umgang mit der PDS . Vor allem zwischen SPD und Union. Es war die Zeit, in der die "Rote-Socken-Kampagne" das politische Denken bestimmte. Damit hatte die Union im Bundestagswahlkampf 1994 das Gespenst der SED-Wiederkehr an die Wand gemalt und so die SPD erfolgreich klein gehalten.

In den folgenden Jahren verblasste dieses Feindbild allerdings immer stärker. 1998 kam es in Mecklenburg-Vorpommern zur ersten rot-roten Koalition, was auch die SPD-Spitze zum Umdenken veranlasste: Fortan sollten die Landesverbände selbst über ihr Verhältnis zur PDS befinden. Damit war die "Dresdner Erklärung" endgültig Makulatur. Vier Jahre später schlugen die Wellen der politischen Empörung jedoch noch einmal hoch. Ausgerechnet in Berlin , der "Frontstadt" im Kalten Krieg, die unter der deutschen Teilung wohl am stärksten zu leiden hatte, machte Klaus Wowereit (SPD ) mit den Post-Sozialisten gemeinsame Sache. Der rot-rote Senat regierte immerhin bis 2011. Und das fast reibungslos. Vor allem deshalb, weil die PDS einen harten Sparkurs mittrug und auch sonst nicht gerade den Eindruck erweckte, als stünde der Kommunismus vor der Tür.

Wann immer Rot-Rot auf der Tagesordnung stand, hatte freilich die SPD die stärkeren Bataillone. In Thüringen ist es allerdings schon länger umgekehrt. Genauso wie in Sachsen und Sachsen-Anhalt. In diesen drei Ost-Ländern bildet die SPD sogar nur die drittstärkste Kraft hinter CDU und Linkspartei. Auch deshalb nun der nächste Schritt. Um nicht auf ewig in einer großen Koalition gefangen zu sein, akzeptiert die SPD in Erfurt einen dunkelroten Ministerpräsidenten und damit auch ganz offen den Verlust des Führungsanspruchs im linken Parteienspektrum. Allerdings ist dieses Manko im Westen bereits seit 2011 offenkundig. Damals wurde Baden-Württemberg grün-rot - aus sozialdemokratischer Sicht wohl genauso ein Tabubruch wie demnächst in Thüringen .

Und die Union? Ihre Koalitionsspiele sind zweifellos weniger spektakulär. Schwarz-Grün wie jetzt in Hessen regt keinen wirklich auf. In Erinnerung bleibt nur das Jahr 2001, als die Hamburger CDU mit der rechtspopulistischen Schill-Partei ins Regierungsbett stieg. Doch zwei Jahre später war wieder Schluss damit. Allerdings wird das Koalitionsgeschäft auch für die Union nicht leichter, nachdem die FDP mangels Masse als "natürlicher Partner" ausfällt. So könnte es auch bei den C-Parteien womöglich schon bald zu einem Tabubruch kommen: Die rechtspopulistische AfD steht für eine Koalition mit der Union bereit.

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