Madrid/Gibraltar Richter-Urteil bedroht Luxus-Leben auf Gibraltar

Madrid/Gibraltar · Die britische Affeninsel ist ein Paradies für das Online-Glücksspiel – dank niedriger Steuern. Doch dieser Zustand könnte bald Geschichte sein.

 Noch ist die Hauptgeschäftsstraße von Gibraltar (oben im Bild) ein Paradies für Glücksspielunternehmen. Aber die Zeiten sind bald vorbei.

Noch ist die Hauptgeschäftsstraße von Gibraltar (oben im Bild) ein Paradies für Glücksspielunternehmen. Aber die Zeiten sind bald vorbei.

Foto: dpa/Peter Kneffel

() Juwelen und Wein können sich auf Gibraltar nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische leisten. Das Pro-Kopf-Einkommen lag im britischen Territorium am Südzipfel Spaniens zuletzt bei knapp 55 000 Pfund – gut 62 000 Euro. Damit gehört das britische Überseegebiet am Südzipfel der iberischen Halbinsel, das mit 6,8 Quadratkilometern nur gut 32 200 Einwohner zählt, zu den reichsten Gebieten der Erde.

Für den spanischen Fußball-Halbamateur Álex Vázquez ist das Leben in Gibraltar „perfekt“. Es gibt Strand und Sonne, in einer ansonsten armen Region. Vor allem aber Jobs und viel Geld. Als die EU mit der Krise kämpfte, kletterte das Inlandsprodukt (BIP) der Halbinsel zwischen 2011 und 2015 um 49 Prozent.

Im Gegensatz zu Kuwait oder den Emiraten, die ähnliche Pro-Kopf-Einkommen haben, verfügt Gibraltar über kein Erdöl oder sonstige Bodenschätze. Den Wohlstand haben die „Gibraltarians“ den niedrigen Steuersätzen zu verdanken. Diese haben unzählige Unternehmen des Finanzsektors und des Online-Glückspiels in ein Gebiet gelockt, das sonst nur wenig zu bieten hat.

Doch über dem Finanzparadies ziehen dunkle Wolken auf. Der Europäische Gerichtshof entschied am Dienstag im Rechtsstreit zwischen Glücksspielanbietern und London, dass Gibraltar und das Vereinigte Königreich hinsichtlich des Dienstleistungsrechts in der EU als eine Einheit zu betrachten sind. Die Verbrauchssteuer für Glücksspielunternehmen könnte sich nach diesem Urteil bald von einem auf 15 Prozent erhöhen.

Unmittelbare Gefahr herrscht damit für den Glücksspiel-Bereich, der in Gibraltar mehr als 3200 Menschen beschäftigt und zusammen mit dem Finanzsektor für rund die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts des British Oversea Territory verantwortlich zeichnet. Die 33 dort ansässigen Glücksspiel- und Wett-Firmen kontrollieren zusammen nach Expertenschätzung rund 60 Prozent des Weltmarktes. Sie machten 2016 Geschäfte in geschätzter Höhe von 30 Milliarden Euro. Im Interview mit der „FAZ“ sprach Chief Minister Fabián Picardo schon 2013 vom „Silicon Valley des Online-Glücksspiels“.

Am Upper Rock geht nun daher die Angst um. Finanz- und Glücksspielminister Alberto Isola beteuerte jüngst, man werde die Herausforderungen „der nächsten Jahre“ meistern. Den Glücksspiel-Unternehmen sicherte er Unterstützung zu. Rechtsexperten wie Lucas Falco warnen aber vor einer Massenflucht der Firmen, etwa in andere sogenannte „Steuerparadiese“ der EU, wie etwa Malta.

Die Politiker in Spanien reiben sich wiederum die Hände. Madrid hofft, dass ein geschwächtes Gibraltar – das vom Vereinigten Königreich 1704 in Besitz genommen und 1713 von Spanien abgetreten wurde – endlich nachgibt und nach über 300 Jahren bald wieder spanisch wird.

Spanien wirft der autonomen Regierung seit Jahren unter anderem vor, die Arbeit der spanischen Fischer zu behindern und nicht ausreichend gegen Steuerhinterzieher und Zigarettenschmuggler vorzugehen. „Das ist eine Piratenhöhle“, schimpft der bekannte Journalist Antonio Pérez Henares. Der Leiter der konservativen Traditionszeitung „ABC“, Bieito Rubido, spricht von einem „Steuerparadies voller Diebe“.

Viele befürchten jedoch, dass ein zu Spanien gehörendes Gibraltar schnell verarmen würde. In der andalusischen Nachbargemeinde La Línea liegt die Arbeitslosigkeit bei rund 35 Prozent. Picardo beruhigt die „Gibraltarians“. Man werde „auch nicht in 4000 Jahren“ zu Spanien gehören.

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