Richter bremsen die Datenwut des Staates

Karlsruhe/Saarbrücken. Gerade hat Karlsruhe den umstrittenen Zugriff auf die massenhaft gespeicherten Telefon- und Internetdaten ein weiteres Mal zurückgestutzt, da kündigt sich schon die nächste Klage an. Die neuen Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA) werden wohl ebenfalls dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt

Karlsruhe/Saarbrücken. Gerade hat Karlsruhe den umstrittenen Zugriff auf die massenhaft gespeicherten Telefon- und Internetdaten ein weiteres Mal zurückgestutzt, da kündigt sich schon die nächste Klage an. Die neuen Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA) werden wohl ebenfalls dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Zwar gehört es seit Jahren zum Ritual, dass Sicherheitsgesetze in Karlsruhe kontrolliert und oft genug korrigiert werden. Diesmal handelt es sich allerdings um zwei zentrale Großprojekte der so genannten Sicherheitsarchitektur - durch die sich die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit nachhaltig verändern könnte.

Nach der seit Jahresanfang geltenden "Vorratsdatenspeicherung" müssen die Telekommunikationsdienstleister sämtliche Telefon- und Internetverbindungsdaten inklusive der Handy-Standortkennungen ein halbes Jahr speichern. Auch wenn die Diskussion über dieses wohl umfangreichste Datensammelprojekt der deutschen Geschichte zeitweise im Schatten der hitzigen Debatte um die Online-Durchsuchung stand: Der Zugriff auf die Computerfestplatte wird einen winzigen Bruchteil der Bevölkerung treffen - die Speicherpflicht betrifft jeden, der elektronisch kommuniziert.

Ähnlich fundamental sind die Änderungen, die das neue BKA-Gesetz bringt. Zwar werden damit keine gänzlich neuen Ermittlungsmethoden eingeführt, abgesehen von der bisher nur wenig praktizierten Online-Durchsuchung. Einen Paradigmenwechsel bedeutet allerdings, dem BKA erstmals die Lizenz zur Prävention einzuräumen - und dazu die entsprechenden Befugnisse bei der polizeilichen Großbehörde mit der gewaltigen Man-Power von 5500 Beschäftigten zu bündeln. Das BKA darf also fortan zur Abwehr drohender Gefahren tätig werden und muss sich nicht mehr auf die Aufklärung bereits begangener Straftaten beschränken - womit sie auch vom Zügel der Bundesanwaltschaft befreit ist.

Es ist letztlich dieser Paradigmenwechsel, der hinter der heftigen Kritik der Opposition am BKA-Gesetz steht. Polizeiliche Prävention verursacht den Kritikern deshalb deutlich stärkere rechtsstaatliche Kopfschmerzen als die Aufklärung bereits begangener Straftaten, weil die Rechtfertigung für Eingriffe in die Grundrechte der Bürger dabei notgedrungen ungewiss ist: Die Straftat, die durch den "Trojaner" auf der Computer-Festplatte verhindert werden soll, liegt noch in der Zukunft - könnte also sein, dass sie nie geschehen wäre, auch ohne Trojaner.

Die Befugnisse im BKA-Gesetz werden sich, wie auch die Vorratsdatenspeicherung, an den Eckpfeilern der Karlsruher Rechtsprechung messen lassen müssen, die in den vergangenen Jahren aufgestellt wurden: Schutz des "Kernbereichs" Privatsphäre, kein blindes Datensammeln ohne Anlass, tief greifende Grundrechtseingriffe nur zur bei gravierenden Risiken oder schweren Straftaten.

Und nach dem neuerlichen Beschluss zur Speicherpflicht scheint sich fortzusetzen, was sich mit der ersten Eilentscheidung im Frühjahr bereits andeutete: Die Vorratsdatenspeicherung wird Karlsruhe kaum in voller Schönheit überstehen.

Die spannende Frage ist allerdings: Wird Karlsruhe die anlasslose Massenspeicherung der sensiblen Telekommunikationsdaten komplett kippen? Bleibt das Gericht bei seiner vorläufige Line, hieße das: Speicherpflicht ja, aber Abruf durch die Sicherheitsbehörden nur in gravierenden Fällen. So hat es das Gericht bisher immer gehalten: Der große Lauschangriff wurde 2004 empfindlich gestutzt - blieb aber im Grundsatz zulässig. Das vorbeugende Abhören von Telefonen wurde 2005 an strenge Voraussetzungen geknüpft, ebenso die Rasterfahndung im Jahr 2006 und die Online-Durchsuchung im Frühjahr.

Das derzeit gültige Gesetz schränke den Quellenschutz von Journalisten massiv ein, kritisierte derweil der Vorsitzende des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV), Michael Konken (Foto: dpa). Zur erneuten Kritik des Verfassungsgerichts an der Vorratsdatenspeicherung gab es auch aus dem Saarland gestern deutliche Worte. Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Manfred Baldauf, sagte: "Die Vorratsdatenspeicherung muss nicht nur eingeschränkt werden, sie gehört vielmehr endgültig in den Papierkorb!" "Das Gesetz schränkt den Quellenschutz von Journalisten massiv ein."

Michael Konken, Chef des Deutschen Journalisten-Verbands

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