Rechte Front bedroht Hollande

Warnsignal, Erdbeben, „Big Bang“ – die Attribute der politischen Beobachter ähnelten sich, am Tag nach dem historischen Wahlerfolg des Front National (FN) bei den Europawahlen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ist eine rechtsextreme Formation stärkste Partei geworden.

Vier von zehn Franzosen gaben der Truppe von Marine Le Pen ihre Stimme. Mit 24 Abgeordneten ist Frankreich das EU-Land, das mit die meisten Rechten nach Straßburg schickt. "Das ist ein trauriger Tag für die Europäische Union", sagte der sozialdemokratische Spitzenkandidat und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.

Doch auch für das EU-Gründungsmitglied Frankreich ist es ein Schock. Gerade für die regierenden Sozialisten. Sie fuhren mit unter 14 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit Jahrzehnten ein und landeten gerade einmal auf dem dritten Platz - weit abgeschlagen hinter FN und der rechtsbürgerlichen UMP, die auf 21 Prozent der Stimmen kam.

Für Präsident François Hollande ist das Votum ein Albtraum. Nach dem Desaster bei der Kommunalwahl im März muss er nun die nächste herbe Schlappe einstecken. Dass aus diesem Debakel "Lehren gezogen werden müssen", wie es aus dem Élysée-Palast gestern hieß, ist klar. Nur: Welche? Hollande steht mit dem Rücken zur Wand. Schon nach der Kommunalwahl hatte er alle Register gezogen und die Regierung mitsamt Premierminister ausgewechselt. Damit hat er keine weitere Trumpfkarte mehr im Spiel. Gezogen hat sie übrigens nicht.

Gegenwind kommt vor allem aus dem eigenen Lager. Parteilinke lehnen Hollandes unternehmerfreundlichen Kurs ab. Sie fürchten, dass der Sozialstaat dem "ultra-liberalen Europa" geopfert wird und fordern eine Rückkehr zu alten linken Rezepten. "Zwingen wir Hollande eine neue Politik auf!", wettert etwa der Linksabgeordnete Laurent Baumel. Er steht an der Spitze einer Gruppe von 100 sozialistischen Abgeordneten, die eine "Neuausrichtung" fordern.

Doch lenkt Hollande ein, riskiert er seine Glaubwürdigkeit gegenüber Brüssel und den Kapitalmärkten - und auch die seiner eigenen Person: Er müsste sich abermals einen Kurswechsel und damit Sprunghaftigkeit vorwerfen lassen. Ohnehin weiß der Präsident, dass er gegenüber Brüssel und den EU-Partnern keine andere Wahl hat, als den hochdefizitären Staatshaushalt, die maue Wirtschaft und die Rekordarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. "Wir müssen weitermachen, das Land wieder aufrichten und aus der Krise führen", erklärte daher auch Regierungssprecher Stéphane Le Foll. An den geplanten Einsparungen von 50 Milliarden Euro führe kein Weg vorbei. Allerdings stellte er neue Steuersenkungen in Aussicht.

Zur nationalen Unzufriedenheit kommt noch eine weitverbreitete Europa-Skepsis. Aktuellen Umfragen zufolge sind 49 Prozent der Franzosen mit der EU unzufrieden. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund stoßen die Thesen des eurokritischen FN auf immer größeres Gehör. Und die Rechtspopulisten bringen so auch die konservative Opposition in Bedrängnis - allen voran Parteichef Jean-Francois Copé. Der habe den Frust der Franzosen nicht kanalisieren können, heißt es. Copé sah das anders. Das Wahlergebnis sei einzig und allein mit der Schwäche der Linken begründet. Sein Rivale, Ex-Regierungschef François Fillon, räumte immerhin innerparteiliche Probleme ein. Die UMP sei "in ihrer Glaubwürdigkeit getroffen". Fillon forderte eine Erneuerung seiner Partei. Es ist schockierend. Jeder vierte Wähler in Frankreich hat für eine Partei gestimmt, die ausländerfeindliche Parolen verbreitet, aus dem Euro austreten und wieder Grenzkontrollen einführen will. Das bedeutet aber nicht, dass 25 Prozent der Franzosen wirklich rechtsextrem denken. Das Ergebnis ist mehr Ausdruck des Zorns über die sozialistische Regierung und deren konservative Vorgängerin - und eine Folge der Schwäche Frankreichs. Seit Jahrzehnten hat das Land keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorgelegt. Weder Konservative noch Sozialisten haben tiefgreifende Reformen auf den Weg gebracht. Die Wirtschaftskrise und die Rekordarbeitslosigkeit von zehn Prozent schüren zudem Zukunftsängste. Machen die etablierten Parteien so weiter, bleibt es nicht bei diesem Warnschuss - und Le Pen triumphiert bei der Präsidentschaftswahl 2017.

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