INF-Vertrag so gut wie tot Raketenstreit mit Putin als Spaltpilz für die Nato

Saarbrücken · Kein an­de­rer Staats­chef, vom nord­ko­rea­ni­schen Dik­ta­tor Kim Jong Un ein­mal ab­ge­se­hen, po­siert so ger­ne mit Waf­fen wie Russ­lands Prä­si­dent Wla­di­mir Pu­tin. Ei­nen Tag nach Weih­nach­ten ver­folg­te er per­sön­lich den rea­len Test ei­ner neu­en In­ter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­te, die an­geb­lich mit 20-fa­cher Schall­ge­schwin­dig­keit ein 6000 Ki­lo­me­ter ent­fern­tes Ziel traf.

Das „Avant­gar­de“ ge­tauf­te Pro­jek­til, so ver­merk­te Pu­tin stolz, sei von US-Ab­wehr­sys­te­men nicht ab­zu­fan­gen.

Pu­tins für den Wes­ten der­zeit be­droh­lichs­tes Rüs­tungs­pro­jekt trägt da­ge­gen ei­nen weit we­ni­ger bom­bas­ti­schen Na­men. Es han­delt sich um ei­nen Marsch­flug­kör­per mit der Be­zeich­nung 9M729 (Na­to-Code­na­me: SSC-8). Die Ra­ke­te soll über ei­ne Reich­wei­te von 2600 Ki­lo­me­tern ver­fü­gen und ato­mar be­stück­bar sein. Schon seit 2012 ver­däch­ti­gen die USA Russ­land, neue Mit­tel­stre­cken­ra­ke­ten zu ent­wi­ckeln und zu bau­en, die ge­gen den 1987 zwi­schen US-Prä­si­dent Ro­nald Rea­gan und dem da­ma­li­gen so­wje­ti­schen Ge­ne­ral­se­kre­tär Mi­ch­ail Gor­bat­schow ver­ein­bar­ten INF-Ab­rüs­tungs­ver­trag ver­sto­ßen. Das Ab­kom­men ver­bie­tet, in Eu­ro­pa Ra­ke­ten mit Reich­wei­ten zwi­schen 500 und 5500 Ki­lo­me­tern zu sta­tio­nie­ren. Seit 2014 wer­fen die Ame­ri­ka­ner den Rus­sen ganz of­fi­zi­ell Ver­trags­bruch vor, aber der Kreml be­strei­tet je­den Ver­stoß und be­schul­digt die USA im Ge­gen­zug, sie hät­ten nu­kle­ar be­stück­ba­re Kampf­droh­nen ent­wi­ckelt so­wie Ra­ke­ten­ab­wehr­bat­te­ri­en in Ru­mä­ni­en und Po­len sta­tio­niert, die sich auch of­fen­siv nut­zen lie­ßen.

Der INF-Ver­trag von 1987 ist wohl nicht mehr zu ret­ten. US-Prä­si­dent Do­nald Trump kün­dig­te schon im Herbst die Auf­kün­di­gung des Ab­kom­mens an. Zwar hat die Na­to auf ih­rem letz­ten Tref­fen An­fang De­zem­ber Russ­land noch ein­mal ei­ne 60-tä­gi­ge Frist ge­setzt, um ei­ne Zer­stö­rung der SSC-8 zu­zu­sa­gen, aber nie­mand glaubt ernst­haft, dass man in Mos­kau dar­auf ein­geht.  Min­des­tens zwei rus­si­sche Ba­tail­lo­ne sei­en in­zwi­schen mit den il­le­ga­len Mit­tel­stre­cken­waf­fen aus­ge­rüs­tet, heißt es.

 Na­to-Ge­ne­ral­se­kre­tär Jens Stol­ten­berg ist be­wusst, dass ei­ne Nach­rüs­tungs­de­bat­te der Nato als Reaktion wie in den 80er Jah­ren, als Hunderttausende in den Großstädten des Westens auf die Straßen gingen,  schnell zum Spreng­satz werden könnte. Die un­mit­tel­ba­ren Nach­barn Russ­lands in Ost­mit­tel­eu­ro­pa wür­den ei­ne Sta­tio­nie­rung ver­mut­lich un­ter­stüt­zen, die West­eu­ro­pä­er wä­ren wohl eher da­ge­gen. Schon aus die­sem Grund dürf­te Pu­tin ein In­ter­es­se dar­an ha­ben, sei­ne Atom­rüs­tung wei­ter vor­an­zu­trei­ben. Zu­mal man sich im Kreml mit den Ame­ri­ka­nern ins­ge­heim ei­nig wähnt. Mi­li­tär­stra­te­gen in bei­den Län­dern be­kla­gen seit Jah­ren, dass Nu­kle­ar­mäch­te wie Chi­na, In­di­en und Pa­kis­tan Mit­tel­stre­cken­ra­ke­ten be­sit­zen dürf­ten, weil sie durch den INF nicht ge­bun­den sei­en, wäh­rend die USA und Russ­land sol­che Waf­fen nicht her­stel­len dürf­ten.

Frei­lich, für Pu­tin und die rus­si­schen Mi­li­tärs hät­te ein En­de des INF-Ab­kom­mens wohl weit mehr als nur stra­te­gi­sche Be­deu­tung. Für sie hat der Ver­trag, auf den sich Gorbatschow einließ, im­mer auch die Nie­der­la­ge im Kal­ten Krieg sym­bo­li­siert; und er gilt als un­er­träg­li­che Fes­sel für Russ­lands neue Groß­macht­am­bi­tio­nen. Soll­te die­se weg­fal­len, wä­re dies für Russ­land aber auch mit ganz er­heb­li­chen Ri­si­ken ver­bun­den. Denn das Land könn­te sehr schnell da­zu ge­zwun­gen sein, in ei­nem neu­en Wett­rüs­ten mit­zu­hal­ten, wie es einst schon die So­wjet­uni­on ge­gen die USA nicht ge­win­nen konn­te. En­de 2020 läuft zu­dem das New-Start-Ab­kom­men über stra­te­gi­sche Atom­waf­fen aus, das bis­her Reich­wei­ten für Trä­ger­sys­te­me und Spreng­köp­fe be­grenzt. Au­ßer­dem müss­te Russ­land auch noch mit Chi­na mit­hal­ten. Man darf be­zwei­feln, ob ein Land, das über die Wirt­schafts­kraft Ita­li­ens ver­fügt, da­zu wirk­lich in der La­ge ist.

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