Rätselraten um Veränderungen in Kuba

Mexiko-Stadt. Seit Castro I. vergangene Woche dem Krankenlager entstiegen ist und Castro II. die Dissidenten zu Dutzenden vom Gefängnis ins Exil verfrachtet, rätseln die Experten über so viel Veränderung in so kurzer Zeit

 Lange war Fidel Castro (2.v.r.) von der Bildfläche verschwunden. Jetzt zeigt er sich wieder häufiger, so wie hier bei einem Besuch im Außenministerium in Havanna. Experten rätseln, warum. Foto: dpa

Lange war Fidel Castro (2.v.r.) von der Bildfläche verschwunden. Jetzt zeigt er sich wieder häufiger, so wie hier bei einem Besuch im Außenministerium in Havanna. Experten rätseln, warum. Foto: dpa

Mexiko-Stadt. Seit Castro I. vergangene Woche dem Krankenlager entstiegen ist und Castro II. die Dissidenten zu Dutzenden vom Gefängnis ins Exil verfrachtet, rätseln die Experten über so viel Veränderung in so kurzer Zeit. Ist die Freilassung von 52 Oppositionellen nur ein politischer Schachzug zum Gewinn von Image und Zeit oder doch der Versuch der aktuellen Regierung, unerlässliche Sozial- und Wirtschaftsreformen einzuleiten, um das Modell Kuba zu modifizieren und so zu retten? Und was bedeutet das plötzliche Auftauchen von Fidel Castro? Will er die Politik des kleinen Bruders stützen oder stutzen und so allzu weitgehende Einschnitte verhindern?

Reformen bleiben bisher aus

Nur eines kann man in diesem Moment mit Sicherheit sagen: Die Wiederauferstehung von Fidel und der Demokratie-Schub von Raúl stehen in engem Zusammenhang. Für kubanische Verhältnisse haben sich die Ereignisse seit dem 8. Juli fast überschlagen, dem Moment als Spaniens Außenminister Miguel Ángel Moratinos die Freilassung der Dissidenten verkündete. Denn Veränderungen sind auf dem kommunistischen Eiland selten und kommen nie so geballtwie jetzt. Seit Raúl Castro die Geschäfte führt, ging alles seinen sozialistischen Gang. Die kleinen Zugeständnisse von Beginn seiner Amtszeit wie Hotelübernachtungen und Handy-Besitz weckten Hoffnungen auf den großen Reform-Wurf. Der ist bis heute ausgeblieben.

Aber aus Havanna dringen dieser Tage Töne, die darauf hindeuten, dass es angesichts der schwierigen Wirtschaftssituation nun doch zum großen Wurf kommt. Spanische Diplomaten und kubanische Kirchenvertreter behaupten, Castro II. habe die Notwendigkeit von Reformen selbst angesprochen, als er mit Moratinos und Kardinal Jaime Ortega das Exil der Oppositionellen aushandelte. Die Regierung wolle sich des innen- und außenpolitischen Problems der Dissidenten entledigen, um sich auf die Wirtschafts- und Sozialreformen konzentrieren zu können, habe der Staatschef gesagt. Angeblich sollen bereits im August erste Reformen erfolgen.

So könnten bis zu 130 000 Arbeiter aus dem Staatsdienst entlassen werden, die überzählig seien. Ferner soll wieder mehr kleines Privatunternehmertum erlaubt und Subventionen und Sozialausgaben gekürzt werden. Zudem denke die Regierung über die allmähliche Abschaffung der Parallel-Währungen und die Neuverhandlung der Auslandsschulden nach, um den Druck auf die Staatsfinanzen zu reduzieren. Nach Angaben des oppositionellen Ökonomen Oscar Espinosa Chepe wies die Handelsbilanz Kubas 2009 ein Defizit von fast elf Milliarden Dollar aus.

Wieder alles wie früher?

Für den Kuba-Kenner Paul Wander vom Inter-American-Dialogue in Washington sind die Freilassungen ein klares Entgegenkommen an Europa und die USA, um im Gegenzug eine Aufweichung der jeweiligen Haltungen zu erreichen. Spanien drängt in der EU schon jetzt auf die Aufhebung der "Gemeinsamen Position", die intensivere Beziehungen zu Havanna an Verbesserungen bei den Menschenrechten knüpft. In den USA gilt Gleiches für die Aufhebung des US-Embargos. Dass Brüssel und Washington ihre Positionen aufgrund der Freilassungen ändern, ist aber unwahrscheinlich.

Havannas neue Annäherung an die alten Gegner kommt trotz allem überraschend, denn in den vergangenen Jahren hat Kuba politisch und wirtschaftlich fast alles auf die Karte Venezuela und China gesetzt. Castros Kumpel Hugo Chávez hat mit günstigen Öllieferungen, Finanzhilfe und Waren aller Arten die Insel vor Schlimmerem bewahrt, bis er jetzt selbst in eine Krise gerutscht ist. Venezuela ist für Kuba fast so wichtig, wie es in früheren Jahren die Sowjetunion war. Offensichtlich hat Havanna daraus gelernt. Sollte Venezuela als engster Wirtschaftspartner ausfallen, sollen Alternativen bereitstehen. Bleibt die Frage, ob Fidel Castros plötzliches Auftauchen Raúl bremsen oder stützen soll. Eine Antwort könnte es schon am 26. Juli, dem Revolutionsfeiertag geben. In früheren Jahren war der Tag immer Anlass für Fidels mehrstündige Reden, in denen er die Marschrichtung der Revolution vorgab. Vielleicht spricht er ja dieses Jahr auch wieder. Dann wäre fast alles so wie früher.

Hintergrund

Die Ehefrauen der in Kuba inhaftierten politischen Gefangenen halten an ihrer Forderung nach Freilassung aller Dissidenten fest. "Die Frauen werden so lange weitermarschieren, bis auch der letzte Gefangene in Freiheit ist. Wir sind keine Politiker, wir sind Frauen, die die Menschenrechte verteidigen", sagte die Sprecherin der "Damas blancas" ("Frauen in Weiß"), Laura Pollan, in einem Interview mit der brasilianischen Tageszeitung "O Globo". kna

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