Putin überschattet Snowden und die NSA

Wenn sich Angela Merkel heute mit Barack Obama trifft, nimmt sich der Gastgeber so viel Zeit wie sonst nur für John Boehner, den Sprecher der Abgeordnetenkammer, seinen konservativen Gegenspieler im Parlament. Ein Zwei-Stunden-Gespräch im Oval Office, ein Lunch im Cabinet Room, dann eine Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses.

Schon ein Blick ins Programm macht deutlich, welchen Wert der US-Präsident auf den Dialog mit der Kanzlerin legt.

Es geht um den Schulterschluss, um eine Demonstration transatlantischen Gleichklangs gegenüber Wladimir Putin. Alles andere, Edward Snowden und die NSA inklusive, ist zur Nebensache geworden. Das westliche Bündnis müsse die Krise in der Ukraine als "Weckruf" verstehen, sagte Außenminister John Kerry, als er diese Woche im Atlantic Council, einem einflussreichen Thinktank, eine Grundsatzrede hielt. Seit dem Ende des Kalten Krieges, so Kerry, habe sich der Westen bemüht, Russland in die euro-atlantische Gemeinschaft zu integrieren, "wir haben uns förmlich ein Bein ausgerissen". Putins Russland aber spiele auf einmal nach anderen Regeln, er versuche Grenzen zu ändern, und dagegen müsse man sich wehren. Gemeinsam.

Wirtschaftliche Daumenschrauben, heißt das im Klartext, sollen Putin zwingen, umzusteuern in Richtung Deeskalation. Den bisherigen, eher symbolischen Schritten sollen Sanktionen mit Biss folgen, auf den Finanzmärkten, im Energiesektor, dort, wo es schmerzt. So sehen es zumindest die Amerikaner, und natürlich wissen sie auch, dass die Europäer dafür einen höheren Preis zu zahlen hätten. Der Handel zwischen Russland und der EU beläuft sich auf rund 370 Milliarden Dollar pro Jahr, wogegen der russisch-amerikanische mit 26 Milliarden geradezu kümmerlich wirkt. Anders gesagt, ziehen Deutsche, Briten und Franzosen nicht mit, bleibt Stückwerk, was immer Obama noch an Strafmaßnahmen anpeilt. Merkel wiederum, in seinem Kalkül spielt sie bei der Kraftprobe mit Putin den Part der Mrs. Europe, der Weichenstellerin der Europa-Union.

Die Krise in der Ukraine gebe beiden die Gelegenheit, nach den Verstimmungen der NSA-Affäre neues Einvernehmen zu signalisieren, meint Annette Heuser, Direktorin der Washingtoner Filiale der Bertelsmann-Stiftung. Merkel werde den Arbeitsbesuch aber auch nutzen, um für Verständnis zu werben, nämlich dafür, dass das europäisch-russische Verhältnis komplexer, stärker von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt sei als das amerikanisch-russische.

Jedenfalls dürfte Obama den Druck auf die Deutsche erhöhen, zumal er selber unter Druck steht, im eigenen Kongress konfrontiert mit Forderungen, endlich kompromisslose Härte zu zeigen. Eine abgestimmte transatlantische Antwort auf "Russlands Aggression" wäre zwar ideal, doch im Moment einige man sich lediglich auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner, wettern die konservativen Senatoren John McCain und Lindsey Graham. "Wenn wir gezwungen sind, zwischen der Allianz und wirksamem Handeln zu wählen, sollten wir uns fürs Handeln entscheiden." Im Lager der Demokraten drängt Zbigniew Brzezinski, der Sicherheitsberater Jimmy Carters, zu Waffenlieferungen an die Ukraine - gegen die Überzeugungen Obamas, der von leeren, sinnlosen Gesten spricht.

Und die NSA-Affäre? Was es an Wirbel um Merkels abgehörtes Handy gab, wird komplett überschattet vom Szenario eines neuen Ost-West-Konflikts, ohne dass sich Obamas Kabinett zu echten Korrekturen verpflichtet hätte. Zwar wies der Präsident seine Späher an, die Kommunikation der Kanzlerin nicht länger zu überwachen, doch die Lex Merkel gilt als eine Art freundlicher Ausnahmefall, zu mehr ist das Weiße Haus nicht bereit. Gebe es "zwingende Sicherheitsgründe", werde man Politiker im Ausland, verbündete Nationen eingeschlossen, weiter ausspionieren, stellte Obama klar, als er im Januar vage Reformen skizzierte. Mehr sei zurzeit nicht drin, mit großen Botschaften zum Thema NSA rechne man nicht auf Merkels Reise, heißt es aus deutschen Diplomatenkreisen. Fast klingt es nach einer Kapitulation.

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