Nach Messerattacke im Sommer 2018 Prozessauftakt zur folgenreichen Bluttat von Chemnitz

Chemnitz/Dresden · Wenn ab heute in Sachsen über die tödliche Messerattacke im August 2018 verhandelt wird, sitzt gefühlt eine ganze Stadt auf der Anklagebank.

Chemnitz macht im Sommer 2018 auf unrühmliche Weise von sich reden. Nach einer tödlichen Messerattacke auf einen 35-jährigen Deutschen werden arabische Migranten als Verdächtige ermittelt. Die Empörung vieler Bürger wird von Rechten genutzt, um Stimmung gegen Flüchtlinge anzuheizen. Es gibt Ausschreitungen, Angriffe auf Ausländer und ausländische Lokale.

Wie konnte es dazu kommen? Die Bluttat, über die ab heute in Dresden vor Gericht verhandelt wird, markiert nur den Ausgangspunkt der jüngsten Entwicklungen. Rechtsextreme Umtriebe gab es hier schon früher.

Am 26. August 2018 wird nur wieder einmal ein trauriger Höhepunkt erreicht. Am Rande des Chemnitzer Stadtfestes kommt es zu einer schrecklichen Tat. Unter bislang unklaren Umständen wird ein 35 Jahre alter Mann erstochen und ein weiterer schwer verletzt. Für die Tat macht man einen damals 22 Jahre alten Iraker und einen Syrer (23) verantwortlich. Aus Hooligan-Kreisen wird zu einer ersten Demo aufgerufen. Unbescholtene Bürger ziehen an der Seite von Rechten durch die Stadt. Ausländer werden attackiert. Am Tag darauf kommen Tausende zu einer Kundgebung der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz zusammen. Einige zeigen den Hitlergruß.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt, dass in einem Rechtsstaat kein Platz für „Hetzjagden“ auf Ausländer sei. Der Begriff Hetzjagd wird später hinterfragt. In den Tagen darauf folgen weitere Kundgebungen. Dazu ruft neben der AfD auch die islamfeindliche Pegida auf. Mehrere ausländische Restaurants werden angegriffen, ein Gastronom verletzt. Später wird bekannt, dass es im Fall der tödlichen Messerattacke einen dritten Verdächtigen gibt. Nach dem 22 Jahren alten Iraker wird bis heute gefahndet, er gilt als Haupttäter und ist untergetaucht. Sein zunächst festgenommener Landsmann kommt wieder frei. Bei dem nun beginnenden Prozess des Chemnitzer Landgerichts sitzt deshalb nur der Syrer auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm gemeinschaftlichen Totschlag und gemeinschaftlichen versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor.

Aus Gründen der Sicherheit und wegen des großen öffentlichen Interesses wurde die Verhandlung in ein derzeit vom Oberlandesgericht Dresden genutztes Gebäude verlegt. Der Sicherheitssaal war mit Kosten von 5,5 Millionen Euro eigens für den Prozess gegen die rechtsextreme Terror-Vereinigung „Gruppe Freital“ hergerichtet worden. Publikum und Prozessbeteiligte sind hier durch eine Glasscheibe getrennt. Der Saal kann nur durch eine Sicherheitsschleuse betreten werden.

Die Verteidigung hatte beantragt, den Prozess in eine andere Stadt zu verlagern und nicht in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stattfinden zu lassen. Es sei mit rechtsextremen Demos und massiven Ausschreitungen zu rechnen, argumentierte sie. Deshalb könne nicht angstfrei geurteilt werden. Der Bundesgerichtshof lehnte das aber ab.

Am Freitag scheiterte die Verteidigung auch mit dem Antrag, den Prozess an das Landgericht Leipzig zu übergeben.

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