Protest in Schwarz-GelbAtommeiler zu wenig geschütztDer lange Streit um die deutsche Atompolitik

Berlin. Die Sonne ist wieder da im Berliner Regierungsviertel. Rot auf gelbem Grund. "Atomkraft, nein danke". Während im Kanzleramt die Regierung um ihr Energiekonzept ringt, macht davor die Anti-Akw-Bewegung mobil. Als wären sie nie verschwunden gewesen, mit den gleichen Sprechchören wie vor dem Jahr 2000, als der Atomkonsens beschlossen wurde

Berlin. Die Sonne ist wieder da im Berliner Regierungsviertel. Rot auf gelbem Grund. "Atomkraft, nein danke". Während im Kanzleramt die Regierung um ihr Energiekonzept ringt, macht davor die Anti-Akw-Bewegung mobil. Als wären sie nie verschwunden gewesen, mit den gleichen Sprechchören wie vor dem Jahr 2000, als der Atomkonsens beschlossen wurde. "Hopp, hopp, hopp, Atomkraftwerke stopp". Mit Trommeln und schwarz-gelben Luftballons, die als symbolische radioaktive Wolke aufsteigen. Nur die Vuvuzelas gab es damals noch nicht. "Das hier ist erst der Vorgeschmack", sagt Cheforganisator Christoph Bautz vom Kampagnen-Netzwerk Campact. Ein Megaphon hängt über seiner Schulter. Nach seinen Angaben sind 2000 Menschen gekommen. Das ist arg übertrieben - in Wirklichkeit sind es vielleicht 1000 Leute, viele Jugendliche darunter. Sie sind friedlich und bleiben hinter der Absperrung. Die rund 20 eingesetzten Polizisten wirken völlig entspannt. Einige der wichtigsten Akteure des Tages sind schon vor Demonstrationsbeginn im Gebäude und kriegen von dem Geschehen kaum etwas mit. Kanzlerin Angela Merkel verhandelt mit den Fachminister Norbert Röttgen (Umwelt), Rainer Brüderle (Wirtschaft) und Wolfgang Schäuble (Finanzen) seit elf Uhr um eine gemeinsame Linie. Erst um 14 Uhr kommen die Parteichefs und Fraktionsvorsitzenden dazu. Horst Seehofer und Guido Westerwelle nehmen bei der Anfahrt lieber den Hintereingang, wo keine Demonstranten sind. Die Fraktionschefs, Volker Kauder, Birgit Homburger und Peter Friedrich passieren mit ihren Limousinen hingegen mutig das Spalier des Lärms, ohne irgendwelche Zwischenfälle. Die verdunkelten Scheiben bleiben allerdings oben. Nur drei Politiker steigen aus. Es sind die Vertreter der Opposition. Sigmar Gabriel von der SPD und Claudia Roth gehen gemeinsam vor die zahlreichen Kameras, die sich am Zaun der Regierungszentrale aufgebaut haben. Gabriel kündigt eine Verfassungsklage an, falls die Regierung den Bundesrat umgehen sollte. Und er erneuert seinen Vorwurf, dass die Politik hier den Eindruck der Käuflichkeit hinterlasse. Ein "Ablasshandel" Sicherheit gegen Geld solle beim Atom stattfinden. Roth wiederum prophezeit der Regierung einen "heißen Herbst". Gregor Gysi kommt getrennt von den anderen Oppositionsspitzen. Es sei eine "Beschädigung der Demokratie", sagt der Vorsitzende der Links-Fraktion, dass die Atomlobby selbst darüber mitverhandeln dürfe, wie viel von ihren Extragewinnen sie abzuführen habe. "Glaubt irgendeiner, die Regierung käme auf die Idee, mit Hartz-IV-Empfängern über die Abschaffung des Elterngeldes zu verhandeln?" fragt Gysi rhetorisch. Ohne das Thema Hartz IV geht bei der Linkspartei eben nichts. Drinnen stellen sich die Teilnehmer der Spitzenrunde auf einen langen Arbeitssonntag ein. Birgit Homburger hat ihren Rückflug nach Baden-Württemberg sicherheitshalber erst für Montagfrüh gebucht. Draußen werden Flugblätter verteilt. Aufruf zur Großdemonstration am 18. September. Dann soll das ganze Regierungsviertel umzingelt werden. Der Widerstand zeige Wirkung; die Regierung sei sich uneins, heißt es in dem Text schon fast triumphierend. Genau darum geht es drinnen, um Einigkeit in dieser Frage nach monatelangem Streit. "Zieht euch warm an", ruft Claudia Roth drohend in die Kameras.Eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse seit 1998: 14. Dezember 1998: Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) erörtert mit Spitzenmanagern der Stromwirtschaft den geplanten Ausstieg. 13. Januar 1999: Die rot-grüne Koalition verständigt sich auf Eckpunkte eines Atomgesetzentwurfes. 27. April 2002: Nachdem der Bundesrat am 1. Februar 2002 endgültig der Novellierung des Atomgesetzes zugestimmt hatte, tritt das Gesetz in Kraft. 26. Oktober 2009: Union und FDP unterzeichnen ihren Koalitionsvertrag. Darin heißt es: "Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bis sie durch Erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann. (. . .) Dazu sind wir bereit, die Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke unter Einhaltung der strengen deutschen und internationalen Sicherheitsstandards zu verlängern. Das Neubauverbot im Atomgesetz bleibt bestehen." 7. Juni 2010: Die Regierung beschließt das größte Sparpaket in der bundesdeutschen Geschichte. Die Atomkonzerne sollen eine Steuer auf Brennelemente zahlen - unabhängig von Laufzeitverlängerungen. 23. Juni 2010: Bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gehen die Spitzen der Energiekonzerne auf Konfrontationskurs und schließen eine Klage nicht aus. 13. August 2010: Der Streit spitzt sich auch innerhalb der Koalition zu: Während Wirtschaftsexperten von Union und FDP die Meiler 15 Jahre länger am Netz lassen wollen, tritt Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) für deutlich kürzere Fristen ein. 2. September 2010: Merkel beruft für den 5. September einen Koalitionsgipfel zur Atomfrage ein. dpaHamburg. Atomkraftwerke sind auch neun Jahre nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 noch immer unzureichend gegen einen möglichen Angriff aus der Luft geschützt. Zu diesem Ergebnis kommt ein gestern veröffentlichter Bericht von Greenpeace. Die Umweltschutzorganisation forderte erneut, die acht gefährlichsten Atomkraftwerke Biblis A und B, Philippsburg 1, Unterweser, Neckarwestheim, Brunsbüttel, Isar 1 und Krümmel sofort abzuschalten. In Deutschland wurden laut des Berichts 2009 rund 3,2 Millionen Flüge registriert. Allein der Flughafen Frankfurt verzeichnet über 54 Millionen Passagiere pro Jahr. Dieses gewaltige Aufkommen mache eine lückenlose Überwachung des Flugverkehrs unmöglich. Die Passagierkontrollen durch private Sicherheitsdienste mit niedrigen Stundenlöhnen und hoher Fluktuation würden selbst von der Gewerkschaft der Polizei als Sicherheitsrisiko bezeichnet. Die derzeitige Anforderung des Bundesumweltministeriums an eine Nachrüstung der AKW sei völlig unzureichend. epdMeinung

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