Prima Klima? Das war einmalEuro-Talfahrt nach Verbot riskanter Börsenwetten

Berlin. Nimmt man an diesem Tag die FDP-Fraktion im Bundestag etwas genauer unter die Lupe, wird schnell klar, wie die Stimmung bei den Liberalen und in der Koalition sein muss: miserabel. Da ist zum Beispiel der Haushaltsexperte Otto Fricke

Berlin. Nimmt man an diesem Tag die FDP-Fraktion im Bundestag etwas genauer unter die Lupe, wird schnell klar, wie die Stimmung bei den Liberalen und in der Koalition sein muss: miserabel. Da ist zum Beispiel der Haushaltsexperte Otto Fricke. Als SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier während seiner Rede süffisant fragt: "Wollen Sie unsere Zustimmung?", plärrt Fricke dazwischen, was viele Frustrierte in der FDP denken: "Nein!" Da ist die Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger, die mit ihrer Stakkato-Stimme die SPD in die Mangel nimmt, als ob es darum ginge, die Auferstehung der großen Koalition zu verhindern. Und da ist schließlich die FDP-Fraktion als Ganzes, die absichtlich nur müde applaudiert nach Angela Merkels Regierungserklärung zur Euro-Rettung. Prima Klima - das war einmal.Es steht nicht gut um die FDP: Die Kanzlerin hat die Steuersenkungen einkassiert, die begonnene Spardebatte läuft an der Westerwelle-Partei vorbei, bei der Finanzmarkt-Transaktionssteuer wurden sie mal eben von der schlingernden Krisen-Merkel ausmanövriert. Und seit dem Beschluss im Bundestag über die Griechenlandhilfe vor zwei Wochen sind die FDPler zur Zielscheibe geworden: "22,4 Milliarden Euro und keinen Cent mehr", hätten die Liberalen versprochen, meckert die Opposition. Jetzt sind es erneut rund 148 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen, mit denen sich Deutschland am gigantischen Euro-Rettungsschirm beteiligen will. Die SPD frotzelt - und vergisst dabei, dass das eine mit dem anderen wenig zu tun hat.Steinmeier gegen MerkelHomburger sucht deshalb ihr Heil im Angriff auf die SPD und ihren Fraktionschef. Dabei hat gerade sie es nicht leicht. Geht sie zum Rednerpult, stöhnt das halbe Parlament auf. Psychologen würden über Homburger sagen: Frustabbau. Steinmeier wird geprügelt, Merkel ist auch gemeint. "Wir haben in den letzten Wochen mehr erreicht als die SPD in ihrer Regierungszeit", stichelt die Liberale. Die SPD-Finanzminister hätten "elf Jahre über ihre Verhältnisse gelebt".Barbara Hendricks, ehemalige Staatssekretärin im Finanzministerium, hält es nicht mehr auf ihrem Sitz. Sie interveniert: Neun Jahre sei sie im Amt gewesen, alle Finanzmarktgesetze der rot-grünen Regierung seien in dieser Zeit von der FDP "abgelehnt worden, weil sie ihr zu streng waren", empört sich Hendricks. Ganz hinten im Parlament klatscht einer besonders heftig Beifall, es ist Peer Steinbrück. Und selbst bei der Union feixen einige über die gelungene Retourkutsche. Nein, die FDP ist am Boden, und jeder scheint genussvoll nachtreten zu wollen. Daran kann auch Homburgers Vortrag nichts ändern.Freitag soll das Rettungs-Gesetz im Bundestag mit möglichst großer Mehrheit beschlossen werden. Merkel nennt das Vorhaben "existentiell". "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa." Steinmeier hält dagegen: Die Regierungschefin sei eine "Getriebene", in Europa sei sie beim Krisenmanagement "vom Führungsstand ins Wartehäuschen" gewechselt. Und wenn Merkel behaupte, die Deutschen hätten über ihre Verhältnisse gelebt, sei das "zynisch".Die Kanzlerin nimmt solche Attacken inzwischen persönlich. Ist sie nicht den Genossen bei den Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte und bei der Beteiligung der Banken an den Kosten der Krise stark entgegengekommen? Müsste nicht gerade Steinmeier wissen, wie schwer das Regieren in Krisenzeiten ist? "Ich bin, ehrlich gesagt, baff", reagiert sie während ihrer Rede auf Spott aus der SPD. Die Atmosphäre ist giftig. Als die Kanzlerin sagt, den Worten der Regulierung müssten Taten folgen, klatscht die linke Seite des Hauses höhnisch. Die Koalition braucht lange, bis sie Merkel mit eigenem Beifall aus der Situation befreit. Im Laufe der Debatte, nachdem sie auch von der Linken Gesine Lötzsch und dem Grünen Jürgen Trittin arg angegangen worden ist, greift sie in ihre kleine Schublade an der Regierungsbank und beginnt damit, Leckereien zu futtern. Nervennahrung, in diesen Zeiten wichtiger denn je.Berlin/Brüssel. Das von Deutschland im Alleingang beschlossene Verbot riskanter Börsenwetten hat die Finanzmärkte weltweit verunsichert. Sorgen um weitere Auflagen drückten die Aktienmärkte ins Minus. Die Indizes in Frankfurt, London, Paris, Tokio und New York büßten gestern teils deutlich an Wert ein. Der Dax schloss 2,72 Prozent tiefer bei 5988,67 Punkten und damit unter der psychologisch wichtigen Schwelle von 6000 Punkten. Der Euro rutschte erstmals seit Anfang 2006 unter die Marke von 1,22 Dollar, erholte sich aber danach wieder etwas.Die deutsche Finanzaufsicht BaFin hatte überraschend ab Mitternacht "ungedeckte Leerverkäufe" von Aktien der zehn größten deutschen Finanzinstitute untersagt. Das Verbot betrifft auch den Handel mit Kreditausfallversicherungen auf Euro-Staatsanleihen.Im Ausland gibt es Unmut über diesen Schritt. In Brüssel war man überrascht über den nicht abgestimmten Berliner Vorstoß. Die EU-Finanzminister hatten erst am Dienstag schärfere Finanzmarktregeln erörtert - wenige Stunden später kam überraschend das deutsche Verbot. In Brüssel hieß es, die EU-Kommission sei nicht über die deutschen Pläne informiert gewesen. Auch habe Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei dem Treffen nicht darüber gesprochen. Auch Frankreich zeigte sich irritiert. Paris wolle einem Spekulationsverbot auf Euro-Anleihen nicht folgen, sagte Wirtschaftsministerin Christine Lagarde laut Medienberichten. Banken kritisierten am Mittwoch die Entscheidung als Verzweiflungstat der Politik. Der Bundesverband Öffentlicher Banken (VÖB) und der Sparkassen-Verband applaudierten dagegen. "Das kann ein wirksamer Beitrag zur Eindämmung schädlicher Spekulationsgeschäfte sein", sagte Sparkassen-Präsident Heinrich Haasis. dpa

HintergrundBundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will mit einem Neun-Punkte-Katalog die Euro-Zone stärken und künftige Schieflagen verhindern. Im Kern geht es um eine bessere Überwachung der nationalen Haushalte, engere wirtschaftspolitische Absprachen sowie einen festen Rahmen zur Bewältigung künftiger Krisen. Neben schärferen Sanktionen gegen notorische Defizitsünder soll auch die Möglichkeit einer Staatsinsolvenz in der Euro-Zone geprüft werden. Staaten, die sich nicht an die Vorgaben zum Defizitabbau halten, sollen vorübergehend keine weiteren EU-Fördergelder bewilligt bekommen, wird etwa vorgeschlagen. Defizitsündern, "die in grober Weise gegen die Spielregeln der Währungsunion verstoßen", sollen für mindestens ein Jahr die Stimmrechte im Europäischen Rat entzogen werden. Das Papier soll morgen der EU-Arbeitsgruppe unter Leitung von Ratspräsident Herman van Rompuy vorliegen. dpa

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