Portugals Scherbenhaufen

Lissabon/Madrid. Nach dem Rücktritt des portugiesischen Regierungschefs José Socrates rückt ein Hilferuf des hoch verschuldeten EU-Landes an den Euro-Rettungsfonds immer näher. In der Hauptstadt Lissabon wie in der EU-Zentrale Brüssel werden bereits Berechnungen über den Finanzbedarf Portugals angestellt

Lissabon/Madrid. Nach dem Rücktritt des portugiesischen Regierungschefs José Socrates rückt ein Hilferuf des hoch verschuldeten EU-Landes an den Euro-Rettungsfonds immer näher. In der Hauptstadt Lissabon wie in der EU-Zentrale Brüssel werden bereits Berechnungen über den Finanzbedarf Portugals angestellt. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 50 und 100 Milliarden Euro, die notwendig sein werden, um den wankenden portugiesischen Staat vor der Pleite zu retten.Portugal wäre damit nach Griechenland und Irland das dritte Euro-Mitglied, welches nicht mehr aus eigener Kraft seine großen Finanzprobleme lösen kann. Der sozialistische Ministerpräsident Socrates (53) warf die Brocken hin, nachdem sein letztes hartes Sparpaket, das vierte in den letzten Monaten, im Parlament abgeschmettert worden war. Die linke wie die rechte Opposition hatten die neuen Belastungen für die Bürger einhellig als "unzumutbar" abgelehnt.

Das Krisenpaket, von dem Teile aber auch ohne Parlamentszustimmung in Kraft treten können, enthält unter anderem Kürzungen der höheren Renten, Reduzierung der Arzneimittelzuzahlung, Preiserhöhungen im öffentlichen Transport und Einsparungen im ohnehin lahmenden Bildungs-, Gesundheits- und Justizwesen.

Vorausgegangen waren im Jahr 2010 bereits Rentenstopp für alle Senioren, Mehrwert-Steuererhöhung auf 23 Prozent, Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst, Mautgebühren auf bisher kostenlosen Autobahnen, tiefe soziale Einschnitte und ein Baustopp für staatliche Infrastruktur. Armut, soziale Not, private Zahlungsprobleme und Arbeitslosigkeit (mehr als elf Prozent) steigen in Portugal immer weiter.

Da Socrates mit einer Minderheitsregierung amtierte, leitete der Vertrauensentzug im Parlament sein Ende ein. Seine Sozialisten haben nur 97 von 230 Stimmen im Abgeordnetenhaus. "Eine negative Koalition der politischen Kräfte hat den Rücktritt der Regierung erzwungen", sagte Socrates. "Das Land hat verloren. Zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten gesellen sich nun die politischen Probleme." Socrates kam 2005 noch mit absoluter Mehrheit ins Amt, seit 2009 regiert er mit einem Minderheitskabinett.

Der konservative Staatspräsident Anibal Cavaco Silva (71) wird nun in etwa zwei Monate Neuwahlen ansetzen. Bis dahin werden Socrates und seine Mannschaft kommissarisch im Amt bleiben. Bei der Neuwahl will auch Socrates wieder antreten - wenn auch laut Umfragen mit geringen Erfolgsaussichten.

Ganz vorne in der Wählergunst liegt derzeit Oppositionsführer Pedro Passos Coelho (46), Vorsitzender der konservativen Sozialdemokraten. "Wir brauchen ausländische Hilfe", sagte Passos Coelho und öffnet damit die Tür für den Euro-Rettungsfonds. Socrates habe "ein illusorisches Bild eines Landes geschaffen, das keine Hilfe braucht und das die Sparziele erreicht, aber dies hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun".

Zu diesem Schluss kam auch die Europäische Kommission, die Portugal zu immer drastischeren Sparmaßnahmen drängte. Den Wirtschaftsprüfern des EU-Statistikamtes Eurostat zufolge hat Socrates nur durch kreative Buchführung die Neuverschuldung 2010 auf etwa 7,3 Prozent senken können. Rechne man die Verschuldung öffentlicher Unternehmen ein, lägen die Neuschulden bei mehr als acht Prozent. Für 2011 werden 4,6 Prozent Neuschulden angepeilt, was aber bei der momentanen Finanznot und Wirtschaftstalfahrt kaum eingehalten werden kann.

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