Politik will Bleifüße ausbremsen

Zu hohes Tempo ist eine Hauptursache für schwere Unfälle. Vor der Innenministerkonferenz im Saarland wird diskutiert, was Raser stärker abschrecken könnte. An besonders sensiblen Strecken soll mehr Tempo 30 kommen. Hier zentrale Fragen und Antworten zum Thema.

 Beim Blitzer-Marathon erwischt es Zehntausende Raser. Doch bewirkt das etwas? Nur mit deutlich höheren Geldbußen, glaubt Niedersachsens Innenminister. Foto: Zinken/dpa

Beim Blitzer-Marathon erwischt es Zehntausende Raser. Doch bewirkt das etwas? Nur mit deutlich höheren Geldbußen, glaubt Niedersachsens Innenminister. Foto: Zinken/dpa

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Wie gefährlich sind Raser - gerade für Kinder?

"Mit Bleifuß setzt man alles aufs Spiel", warnte Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD ) schon zum BlitzerMarathon im Frühjahr. Tatsächlich ist zu hohe Geschwindigkeit die häufigste Ursache für besonders schlimme Unfälle mit Toten. Nach einer grundlegenden Auswertung des Statistischen Bundesamts mit Daten von 2012 kommen 37 Prozent aller auf den Straßen getöteten Menschen durch überhöhte Geschwindigkeit ums Leben. Anders als auf Landstraßen und Autobahnen sind innerorts auch Kinder als Fußgänger oder Radler stärker gefährdet. Sie können Entfernungen und Geschwindigkeiten noch nicht so gut einschätzen.

Wie sollen Raser abgeschreckt werden?

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sieht Handlungsbedarf und will die Geldbußen drastisch anheben. Strafen müssten so hoch sein, dass sie Temposünder "bis ins Mark" treffen, argumentiert der SPD-Politiker vor der heute beginnenden Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern im Saarland und bringt dafür auch schon eine Größenordnung von 1000 Euro ins Spiel.

Was sagen Experten?

Die Gewerkschaft der Polizei befürwortet höhere Geldbußen. "Am besten spürt man es über das Geld", sagt Bundesvize Arnold Plickert. Die Einnahmen sollten aber nicht im allgemeinen Haushalt landen, sondern für Verkehrssicherheitsarbeit reserviert werden. Und wenn ein Fahrer nicht zu ermitteln ist, solle wie beim Falschparken auch der Halter herangezogen werden. Der Autofahrerclub ADAC reagiert zurückhaltend auf den Vorstoß aus Hannover. Das erst 2014 reformierte System mit der Kombination aus Geldbußen, Punkten in Flensburg und Fahrverboten habe sich bewährt. So ist der Führerschein für mindestens einen Monat weg, wenn Raser innerorts 31 Kilometer pro Stunde oder mehr zu schnell waren.

Was ist vor Schulen und Altenheimen geplant?

"Kinder und Senioren brauchen besonderen Schutz", sagt Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU ). Deshalb soll vor Schulen, Kitas und Altenheimen - wie schon auf kleinen Straßen - auch auf Hauptstraßen leichter Tempo 30 vorgeschrieben werden können. Die hohen bürokratischen Hürden soll eine Verordnung senken, die Dobrindt heute ins Kabinett bringt. Dazu gibt es aber Vorgaben, die für mehr Akzeptanz bei Autofahrern sorgen sollen. Um den Verkehrsfluss auf Hauptachsen nicht zu sehr zu bremsen, soll Tempo 30, wo möglich, nicht rund um die Uhr gelten, sondern etwa zur Öffnungszeit einer Kita. Und länger als 300 Meter direkt vor der "sensiblen" Einrichtung sollen die Zonen in der Regel nicht beginnen.

Meinung:

Wer bietet noch mehr?

Von SZ-Korrespondent Hagen Strauß

1000 Euro Bußgeld für Geschwindigkeitsüberschreitungen - wer bietet mehr? Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius scheint Maß und Mitte verloren zu haben, wenn er vorschlägt, Autofahrer gleich so massiv zur Kasse zu bitten. Warum nicht 1500 oder 2000 Euro? Dass härter gegen notorische Raser durchgegriffen werden muss, ist keine Frage. Doch schon jetzt können motorisierte Idioten für Monate von der Straße verbannt werden. Und sie müssen für ihre Vergehen zum Teil teuer bezahlen. Das Problem ist ein ganz anderes: Es gibt in Deutschland im Verkehrsbereich ein erhebliches Kontrolldefizit. Viel zu viele Verstöße werden nicht mehr geahndet, weil die Polizei sie als zu lapidar empfindet. Vor allem aber bleiben zahlreiche Delikte schlichtweg unbemerkt. Mangels Personal und vieler anderer Aufgaben, die die Beamten stärker binden. Den Verkehrspolizisten im klassischen Sinne gibt es kaum noch. Wäre es anders, würde dies auch verrückte Raser abschrecken. Vermutlich glaubt Pistorius, diese Defizite über ein ex tremes Bußgeld ausgleichen zu können. Wer aber wirklich etwas ändern will, muss endlich dafür sorgen, dass die Polizei konsequenter durchgreift und dazu personell auch in der Lage ist. Mit Blitzer-Marathons einmal im Jahr ist es nicht getan.

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