Politik und Liebe - ein seltsames Spiel

Schon öfter brachten Liebesaffären deutsche Spitzenpolitiker in Erklärungsnot. Ihren Posten abgeben mussten die meisten von ihnen - anders als der schleswig-holsteinische Christian von Boetticher - jedoch bislang nicht. Mit der früheren Beziehung zu einer Minderjährigen hat der Chef der Nord-CDU seine Partei schockiert. Nach dem Rücktritt Boettichers soll Wirtschaftsminister de Jager neuer Spitzenkandidat werden.

Kiel. Scherbenhaufen, Schockstarre, Fassungslosigkeit - der über eine frühere Beziehung mit einer 16-Jährigen gestolperte Vormann der CDU in Schleswig-Holstein, Christian von Boetticher (40), hat seine Partei in ein Desaster gestürzt. Neun Monate vor der Landtagswahl 2012 brauchen die Christdemokraten einen neuen Spitzenkandidaten und Landesvorsitzenden. Wirtschaftsminister Jost de Jager (46, Foto: dpa) könnte beides werden. Gestern trat von Boetticher auch als Chef der Landtagsfraktion zurück.Die Chancen für die SPD, mit Spitzenkandidat Torsten Albig (48) im Mai 2012 stärkste Partei zu werden, dürften wieder gestiegen sein. Vor allem außerhalb des Landes erscheint der an Ausreißern unrühmlich reiche Norden wieder als besonders skandalträchtig. Nein, eine Affäre war das nicht, sagte Boetticher in seiner Rücktrittserklärung am Sonntag: "Ich habe zu diesem Zeitpunkt keinerlei Beziehung zu einer anderen Frau gepflegt, so dass man nicht von einer Affäre sprechen kann." Dem 40-Jährigen kamen die Tränen. "Es war schlichtweg Liebe." Mehrere Monate dauerte die Beziehung im vergangenen Jahr. "Es gab im Frühjahr 2010 noch keinen Hinweis auf vorgezogene Neuwahlen; ich war weder Landesvorsitzender noch nominierter Spitzenkandidat", sagte Boetticher. Er habe keinen privaten, sondern einen politischen Fehler gemacht.

Dass Boetticher das frühere Verhältnis mit einer Minderjährigen politisch nicht überleben konnte, war angesichts der moralischen Verurteilung einer solchen Beziehung durch viele rasch absehbar. Er selbst hatte offenkundig lange gehofft, zumindest als Landes- und Fraktionsvorsitzender weitermachen zu können. Erschwerend kam für Boetticher wohl sein nicht optimales Standing in der Partei hinzu. Als Spitzenmann und "Kronprinz" des scheidenden Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (64) war der Rechtsanwalt aus Pinneberg nie unumstritten. dpa

Nord-CDU steht vor einem Scherbenhaufen

Berlin. Ihre offizielle Rückkehr an ihren Schreibtisch im Kanzleramt gestern dürfte sich Angela Merkel anders vorgestellt haben - überall nur Baustellen. Auch in der Union. Jetzt kommt hinzu, dass der Absturz des schleswig-holsteinischen CDU-Hoffnungsträgers Christian von Boetticher wegen einer Liebesaffäre mit einer 16-Jährigen möglicherweise auch noch Zweifel an der Integrität des Führungspersonals der Merkel-Partei sät. Freilich ist Boetticher nicht der erste Politiker, der in die Liebesfalle getappt ist. Das wiederum dürfte Merkel beruhigen.

Hat die Kanzlerin moralische Vorbehalte, wenn ein 40-Jähriger mit einer 16-Jährigen eine Beziehung eingeht? "Das ist eine Frage, die sich für die Bundesregierung nicht stellt", wehrte Regierungssprecher Steffen Seibert (Foto: dpa) gestern ab. Eine "persönliche Einschätzung" der Kanzlerin sei ihm nicht bekannt. Seibert folgt damit einer deutschen Tradition: Anders als in Amerika oder Großbritannien ist hierzulande das Privatleben der Volksvertreter meist tabu und den Medien oft nur eine Randnotiz wert. Es sei denn, Politiker machen es selbst öffentlich und zu ihrem eigenen politischen Programm. Bestes Beispiel dafür ist der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. Er propagierte die Familie gerne als Leitbild, in Wahrheit aber pflegte er in Berlin eine außereheliche Beziehung, aus der auch eine Tochter hervorging. Die Affäre wurde plötzlich öffentlich, als Seehofer 2007 Edmund Stoiber vom Bayernthron stoßen wollte. Die Vorgänge ähnelten einem Ablauf gut 14 Jahre vorher in der CSU. Auch damals kamen zum passenden Zeitpunkt Gerüchte um einen potenziellen künftigen Ministerpräsidenten auf - damals musste Theo Waigel seine Hoffnungen auf den Karrieresprung begraben, als seine Beziehung zu der Ski-Rennläuferin Irene Epple bekannt gemacht wurde. Seehofer aber lächelte alle Probleme weg und kehrte reumütig zu Gattin Karin zurück.

Politisch zum Verhängnis geworden ist ein Liebesspiel bislang vor allem Rudolf Scharping. Wegen merkwürdiger Dienstreisen und der Zurschaustellung gemeinsamer Badeerlebnisse mit seiner Gräfin verlor er schließlich sein Amt als Verteidigungsminister. Seitdem gilt der Fall als beispielhaft für eine gelungene Selbstdemontage. Andere waren da in ihrem Vorgehen klüger - der ehemalige Hamburger Bürgermeister Ole von Beust zum Beispiel. Erst nachdem er aus dem Amt geschieden war, gab er 2010 sein Verhältnis zu einem damals 19-Jährigen bekannt.

Die Politik und die Liebe, das ist allemal ein seltsames Spiel. Von Edmund Stoiber heißt es, er habe 2005 das Amt als Super-Minister in Berlin überraschend ausgeschlagen, um seine Ehe nicht zu gefährden. Ist Berlin also ein so heißes Pflaster? Zumindest scheint das Politikerleben in der Hauptstadt für eine Ehe nicht sonderlich förderlich zu sein. So trennte sich Kanzleramtsminister Ronald Pofalla letztes Jahr zum zweiten Mal, und mit dieser persönlichen Scheidungsrate ist Pofalla im Bundestag nicht allein: Von den 620 Abgeordneten sind viele bereits getrennt und zum zweiten oder dritten Mal wieder gebunden, übrigens auch Kanzlerin Merkel, die zweimal geheiratet hat. Als Meister der Mehrfachbindung in Polit-Kreisen gelten allerdings immer noch der ehemalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD), die in der Regel ihre Liebschaften auch heirateten (Fischer fünfmal, Schröder viermal). Sicher ist sicher.

Ex-SPD-Chef Franz Müntefering und Altkanzler Helmut Kohl indes steuerten nach dem Tod ihrer Frauen ebenfalls wieder den Hafen der Ehe an - allerdings mit deutlich jüngeren Partnerinnen. Was folgte, war jede Menge Getuschel über die alten Männer und die jungen Frauen. Peter Harry Carstensen, Boettichers enger Parteifreund im Norden, sorgte übrigens auch schon mal für Liebes-Verwunderung: 2004 suchte er via "Bild" eine neue Frau und machte sich damit zum Gespött der Nation. Die Aktion sei ein Fehler gewesen, räumte er im Nachhinein ein. Zum Ministerpräsidenten wurde er ein Jahr später trotzdem gewählt. "Das ist eine Frage, die sich für die Bundes- regierung nicht stellt."

Regierungssprecher Steffen Seibert

zur moralischen Bewertung von Boettichers Affäre

Meinung

Das geht Merkel doch etwas an

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff

Natürlich schweigt Angela Merkel zu den Liebeseskapaden des schleswig-holsteinischen CDU-Chefs Christian von Boetticher. Was soll man dazu auch sagen? Aber denken dürfte sie sich ihren Teil. Vor allen Dingen: Auch das noch! Der Regierung stecken noch die Debatte um das Profil der Union, der Ärger um die Energiewende, der Führungskampf bei den Liberalen sowie der Machtverlust in Baden-Württemberg in den Knochen. Es ist ein Klima der Enttäuschung, der Unlust und der Ungeduld entstanden. Bei den Regionalkonferenzen der Union im Herbst dürfte die Vorsitzende und Kanzlerin nicht mehr verschont bleiben. Immer deutlicher stellt sich die Frage: Was ist eigentlich mit dem CDU-Personal in den Ländern und in der zweiten Reihe los? Ist da noch wer mit Mumm - und Moral?

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