Politik in Zeiten der TrauerAuch deutsche Regierungsspitze sitzt gemeinsam im Flugzeug Russland verneigt sich vor Polen und rätselt über die Umstände des Flugzeugabsturzes

Warschau. Präsident Lech Kaczynski und seine Frau Maria galten als vorbildliches Ehepaar. Seit mehr als drei Jahrzehnten verheiratet hatten sie in dieser Zeit alle Wendepunkte polnischer Geschichte gemeinsam erlebt. Nun sollen sie auch nach dem Tod unzertrennlich bleiben

 Auf einem Platz in Warschau trauern Menschen um Staatschef Kaczynski (oben). In der Kapelle des Präsidentenpalastes ist der Sarg mit dem Leichnam Kaczynskis aufgebahrt. Fotos: dpa

Auf einem Platz in Warschau trauern Menschen um Staatschef Kaczynski (oben). In der Kapelle des Präsidentenpalastes ist der Sarg mit dem Leichnam Kaczynskis aufgebahrt. Fotos: dpa

Warschau. Präsident Lech Kaczynski und seine Frau Maria galten als vorbildliches Ehepaar. Seit mehr als drei Jahrzehnten verheiratet hatten sie in dieser Zeit alle Wendepunkte polnischer Geschichte gemeinsam erlebt. Nun sollen sie auch nach dem Tod unzertrennlich bleiben. Erst sobald der Leichnam der "First Lady", der offenbar erst vor kurzem identifiziert worden ist, nach Warschau übergeführt worden ist, soll das Präsidentenpaar öffentlich aufgebahrt und später beigesetzt werden. "Die beiden Verstorbenen sollen die Menschen, die ihnen die letzte Ehre erweisen werden, zusammen begrüßen", erklärte ein Sprecher der Präsidialkanzlei gestern. Auch ihre "letzte Reise" sollten Lech und Maria gemeinsam antreten.

Während Zehntausende Polen weiterhin um die Toten trauern, muss das politische Leben im EU- und Nato-Land Polen trotz des tiefen Schocks weitergehen. Parlamentschef Bronislaw Komorowski (Foto: dpa), der nach der Katastrophe die Geschäfte des Staatsoberhauptes übernommen hat, sorgte mit seinem selbstsicheren Auftreten vom Anfang an für die nötige Ruhe. "Der Staat bleibt intakt", versicherte der 57-jährige Politiker der Regierungspartei von Donald Tusk, Bürgerplattform.

Mit ersten Personalentscheidungen wollte er seine Qualitäten als über den Parteien stehenden Vermittler unter Beweis stellen. Zum Chef des Amtes für Nationale Sicherheit (BBN) wurde Stanislaw Koziej ernannt. Der General hatte in der national-konservativen Regierung von Jaroslaw Kaczynski den Posten des Vize-Verteidigungsministers bekleidet. Mit der Leitung der Präsidialkanzlei wurde ein unpolitischer Beamter, Jacek Michalowski, betraut. Die Nationalbank sei stabil, beruhigte Komorowski die um die polnische Währung besorgten Journalisten. Der Chef der Zentralbank war beim Flugzeugabsturz in Smolensk wie mehr als 90 andere Spitzenpolitiker, Militärs und Staatsbeamte ums Leben gekommen.

Bereits heute will Komorowski mit allen Parlamentsfraktionen Konsultationen über den Termin der vorgezogenen Präsidentenwahl beginnen. Für eine Entscheidung darüber gibt ihm die Verfassung zwei Wochen. Danach muss an einem Sonntag innerhalb der folgenden 60 Tage, spätestens am 20. Juni, ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden.

Für Komorowski, der in einer Doppelrolle auftritt, stellen die nächsten Wochen eine harte Bewährungsprobe dar. Er muss eine Wahl organisieren, an der er selbst als Kandidat mit klaren Siegeschancen teilnimmt. Der Politiker, der in der Vergangenheit die politischen Gegner hart bekämpfte, gibt sich nun demonstrativ staatsmännisch.

Angesichts der nationalen Katastrophe gebe es "keine Rechte und keine Linke", sagte er in einer Fernsehansprache an die Nation.

In eine tiefe Krise versetzte der Tod von Lech Kaczynski die größte Oppositionspartei, Recht und Gerechtigkeit (PiS). Denn die vom Zwillingsbruder des Verstorbenen, Jaroslaw, geführten Nationalkonservativen haben ihren Präsidentschaftskandidaten verloren. Der Amtsinhaber sollte mit Unterstützung der PiS das Präsidentenamt, die letzte national-konservative Bastion, gegen den liberalen Angriff der Tusk-Leute verteidigen. Jetzt muss PiS einen Ersatz-Kandidaten finden, der es mit Komorowski aufnehmen könnte.

Ob der nach dem Tod seines Bruders angeschlagene Jaroslaw als Bewerber einspringt, ist mehr als fraglich. Der Jungstar der Kaczynski-Gruppierung, Ex-Justizminister Zbigniew Ziobro, war vor zwei Jahren ins Europäische Parlament nach Brüssel abgeschoben worden. Seine große Popularität betrachtete Parteichef Jaroslaw Kaczynski als eine Gefahr. Der 39-jährige "Sheriff", dessen spektakuläre Aktionen gegen die Mafia oder korrupte Beamte vor mehreren Jahren für Aufsehen sorgten, hätte aber das Potenzial, um Komorowski dem Weg in den Präsidentenpalast zu versperren.

"Möge dieser Tod uns versöhnen", betitelte gestern die größte polnische Qualitätszeitung "Gazeta Wyborcza" ihren Leitartikel. Doch ähnlich wie nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. wird die Zeit der Besinnung nach der Tragödie eher von kurzer Dauer sein. "Politik hat ihre eigene Logik", meinte einer, der es als erfahrener Politik-Profi wissen muss: Ex-Präsident Lech Walesa.Berlin. In Deutschland dürfen Spitzenpolitiker ohne Einschränkung gemeinsam in einem Flugzeug reisen. Nach Angaben eines Regierungssprechers gibt es "keinerlei Vorschrift jenseits des gesunden Menschenverstandes", die verhindert, dass bei einem Unglück mehrere Spitzenpolitiker ums Leben kommen. Die Frage kam auf, nachdem am Samstag der polnische Präsident Lech Kaczynski und mehrere Mitglieder der Staatsführung bei einem Flugszeugabsturz starben.

Es gab schon Fälle, wo fast das gesamte Kabinett in einem Flieger saß, etwa auf dem Weg zu einem deutsch-französischen Ministerrat oder nach Israel. In den USA gibt es das Verbot für den Präsidenten und seinen Vize, gemeinsam zu reisen. dpa

Moskau. "Merkwürdige Tragödie", "Mystisch", "Ein neues Katyn" - Russland suchte nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk nach Erklärungen für das Unfassbare. Kann der Tod des scharfen Russland-Kritikers Lech Kaczynski in einer russischen Maschine nach russischer Reparatur und dann noch ausgerechnet in Katyn, dem russischen Ort eines Sowjet-Massakers an polnischen Offizieren starben, ein Zufall sein? Weil Präsident Dmitri Medwedew und sein Regierungschef Wladimir Putin wohl genau solche Fragen befürchten, zogen sie schon vor dem Staatstrauertag am Montag alle Register, für die Einigkeit mit Polen im Schmerz.

Prominent präsentierten russische Medien gestern, wie der oft als gefühlskalt beschriebene Putin den polnischen Regierungschef Donald Tusk in die Arme nimmt - als Symbol und Chance für eine polnisch-russische Versöhnung. Medwedew veröffentlichte seine TV-Rede an das polnische Volk im Internet auf Polnisch. Russland verneigte sich vor den Polen.

Doch nichts trieb viele Russen so sehr um, wie die Umstände dieser Tragödie. Auch russische Medien diskutierten, ob Kaczynski trotz Warnungen des Towers Befehl zum Landen gegeben und den Piloten bedrängt haben könnte. Das war schon einmal passiert - doch als er 2008 im damaligen Kriegsgebiet Georgien landen wollte, widersetzte sich der Pilot. Aber selbst wenn dieser andere Pilot nun einen Befehl gehabt haben sollte, fragten sich viele, wie es zu dieser Katastrophe mit 96 Toten kommen konnte. Der Friedensnobelpreisträger und Ex-Sowjetpräsident Michail Gorbatschow warnte vor Verschwörungstheorien.

Doch Moskaus Medien machten sich ihren eigenen Reim auf das Unglück. Die Zeitung "Komsomolskaja Prawda" erinnerte daran, dass der vom georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili kontrollierte TV-Sender Imedi in einer gefälschten Kriegsreportage Mitte März zur besten Sendezeit den Tod von Kaczynski verkündet habe. EU und Nato verurteilten die gefälschte Nachrichtensendung über einen angeblich Einmarsch russischer Truppen in Georgien. In Georgien gerieten die Menschen in Panik. Die Reporter hatten gemeldet: Das Flugzeug Kaczynskis, des Freundes Georgiens, sei von den Russen gesprengt worden.dpa

"Der Staat bleibt intakt."

Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski

 Auf einem Platz in Warschau trauern Menschen um Staatschef Kaczynski (oben). In der Kapelle des Präsidentenpalastes ist der Sarg mit dem Leichnam Kaczynskis aufgebahrt. Fotos: dpa

Auf einem Platz in Warschau trauern Menschen um Staatschef Kaczynski (oben). In der Kapelle des Präsidentenpalastes ist der Sarg mit dem Leichnam Kaczynskis aufgebahrt. Fotos: dpa

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