Polen gedenken des Warschauer Aufstandes

Warschau. War der Entschluss der Aufständischen zum Kampf von 1944 richtig? Seit Jahrzehnten entzweit der Streit über den militärischen und politischen Sinn des Warschauer Aufstandes mit mehr als 200 000 Toten Historiker und Politiker in Polen

Warschau. War der Entschluss der Aufständischen zum Kampf von 1944 richtig? Seit Jahrzehnten entzweit der Streit über den militärischen und politischen Sinn des Warschauer Aufstandes mit mehr als 200 000 Toten Historiker und Politiker in Polen. Ungeachtet aller Experten-Debatten pflegen die Polen mit steigendem Engagement die Erinnerung an die Helden und Opfer der Erhebung gegen die deutschen Besatzer. 65 Jahre nach dem Drama ist der Aufstand zum zentralen nationalen Mythos im Geschichtsbewusstsein der polnischen Gesellschaft geworden, zum geistigen Fundament des neuen Polens nach dem demokratischen Umbruch von 1989. "Wir leben in einem freien und demokratischen Polen, einem Staat, um welchen sie (die Aufständischen) kämpften", sagte die Warschauer Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz gestern bei der Gedenkveranstaltung in Warschau. Ihr Kampf sei nicht vergeblich gewesen. Für Präsident Lech Kaczynski ist der Aufstand sogar zum Mythos geworden, der das "Heldentum und den Willen, der vor nichts zurückschreckt", besonders zum Ausdruck bringe. Dieser Mythos solle in Polens Geschichte ewig leben, so Kaczynski. Bei den Gedenkveranstaltungen, die in diesem Jahr mehr als eine Woche andauerten, bewiesen die Warschauer, dass sie sich der Tradition sehr verbunden fühlen. Als um 17 Uhr am Samstag zum Andenken an den Kampfausbruch die Sirenen zu heulen begannen, hielt die Stadt für eine Minute inne. Fußgänger blieben auf dem Bürgersteig stehen, Autos und Busse hielten an. Tausende Menschen zündeten Grableuchten an, Eltern und Kinder trugen Armbinden in Polens Landesfarben weiß-rot. Bis spät in die Nacht hinein sangen die Warschauer an einem Platz im Stadtzentrum historische Kampflieder. "Wie bei einem Volksfest", wunderte sich eine Fernseh-Journalistin - obwohl hier an eine Tragödie erinnert werde. Feierstimmung war auch vor 65 Jahren aufgekommen, als die meist jungen Männer und Frauen, auch Kinder, in den Kampf gegen die Deutsche Wehrmacht zogen. Die Führung der nationalpolnischen Untergrundarmee warf rund 40 000 schlecht bewaffnete Freiwillige in die Schlacht. Gegen viel besser ausgerüstete deutsche Einheiten hatten sie nur wenige tausend Gewehre zu setzen. "Wir alle waren sehr glücklich, dass wir endlich die Deutschen an der Kehle fassen konnten", erzählt Barbara Matys, damals bei einer Pioniereinheit. "Es gab keine Alternative zum Aufstand", sagte Mariusz Olczak, Historiker vom Warschauer Staatsarchiv. Dank des Überraschungseffekts erzielten die Aufständischen anfangs beachtliche militärische Erfolge und brachten große Teile Warschaus unter ihre Kontrolle. Hitler wollte aber die Frontstadt nicht aufgeben. Nach einigen Tagen ging die Deutsche Wehrmacht zur Gegenoffensive über und setzte schwere Panzer und Flugzeuge ein. Gekämpft wurde um jedes Haus. Die Aufständischen mussten ein Stadtviertel nach dem anderen räumen, bis sie am 2. Oktober kapitulierten. Nach 63 Tagen blieben in der völlig zerstörten Stadt 200 000 Tote, davon 18 000 Heimatarmee-Soldaten. Warschau war in Schutt und Asche gelegt. Eine halbe Million Menschen wurden aus der Stadt vertrieben, ein Teil von ihnen ins NS-Konzentrationslager Auschwitz verschleppt. Der Aufstand habe die nationale Identität Polens, die durch die sowjetische Herrschaft bedroht war, gefestigt, urteilte der Historiker Andrzej Krzysztof Kunert. Der Mythos habe den Nachkriegsgenerationen als ein sehr wichtiger Grundwerte-Wegweiser gedient. Sein Kollege Jan Ciechanowski dagegen hält den Kampf für einen der schwersten Fehler der AK-Führung. Der Aufstand hätte nicht ausgerufen werden sollen, weil er vom Anfang an keine Erfolgsaussichten gehabt habe, sagte der in Großbritannien lebende Forscher.

HintergrundPapst Benedikt XVI. hat die Widerstandskämpfer des Warschauer Aufstands gegen die deutschen Besatzungstruppen gewürdigt. Er sei im Gebet mit den Teilnehmern der Gedenkfeiern zum 65. Jahrestag der Erhebung verbunden, sagte der Papst auf Polnisch bei seinem Angelusgebet am Sonntag in Castelgandolfo. Das freie Polen sei aus der Stärke der Nation und "aus dem Heldenmut der Aufständischen" erstanden. Ihre Lebenshingabe solle dem Land Frieden und Blüte bringen, sagte Benedikt. kna

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