Piraten wollen Piraten bleibenKommando Flagge zeigen

Zumindest den einen, seit Wochen akuten Kritikpunkt konnten die Piraten auf ihrem Parteitag ausräumen. Gegen den Verdacht, zu tolerant gegenüber rechtsextremen Positionen zu sein, setzten sie eine einstimmig verabschiedete Entschließung: Holocaust-Leugner haben keinen Platz in der Partei. Ein emotionaler Moment, eine improvisierte Abstimmung. Die 1500 Piraten klatschen sich selbst Beifall

Zumindest den einen, seit Wochen akuten Kritikpunkt konnten die Piraten auf ihrem Parteitag ausräumen. Gegen den Verdacht, zu tolerant gegenüber rechtsextremen Positionen zu sein, setzten sie eine einstimmig verabschiedete Entschließung: Holocaust-Leugner haben keinen Platz in der Partei. Ein emotionaler Moment, eine improvisierte Abstimmung. Die 1500 Piraten klatschen sich selbst Beifall. Damit war das Thema abgeräumt. Ansonsten blieb der Bundeskongress in Neumünster vage.Wofür steht die Partei, über ihre bekannten Positionen wie Freiheit im Netz und kostenloser Nahverkehr hinaus? Wie soll ein modernes Urheberrecht aussehen, das die Interessen von Künstlern und Autoren respektiert? Kaum ein Wort dazu. Doch die inhaltliche Schwäche der Piraten ist ihre Stärke. 72 Prozent ihrer Wähler nennen die Unzufriedenheit mit den anderen Parteien als Motiv.

Der Kongress in Neumünster war vor allem ein Wahlparteitag. Der alte Vorsitzende Sebastian Nerz (28) trat wieder an, aus dem Berliner Landesverband war er scharf angegriffen worden. Einen radikalen Kurswechsel wollten die Piraten aber nicht. Am Ende wurde Vize Bernd Schlömer (41) zum neuen Chef, Ex-Chef Nerz zum neuen Vize gewählt. Ein Neuanfang sieht anders aus, aber der war auch nicht gewollt. Etwas mehr Präsenz soll Schlömer bringen, aber der Führung sind enge Grenzen gesetzt.

"Schwarmintelligenz braucht keine übergeordnete Koordinationsinstanz", sagt die später durchgefallene Vorstands-Kandidatin Birgitta Brockmann. Mit anderen Worten: Die Führung hat nichts zu sagen. Wenn dies so bleibt, kastriert sich die Partei nach Ansicht mancher Beobachter selbst. "Das ist ein Sprechverbot für klare Meinungen", sagt der Hamburger Parteienforscher Joachim Raschke.

Prominente Piraten widersprechen: "Wir arbeiten nicht so hierarchisch wie andere", sagt der neue Generalsekretär Sven Schomacker. "Ich finde den chaotischen Aspekt gut." Dennoch ist den Piraten bewusst, dass sie inhaltliche Defizite auffüllen müssen. Ein Programmparteitag in Bochum im Herbst soll sich auch an die Außen- und Europapolitik "heranwagen".

Nun kann es aber sein, dass die Piraten schneller, als vielen lieb ist, in den Parlamenten Farbe bekennen und über mögliche Regierungsbündnisse entscheiden müssen. SPD-Chef Sigmar Gabriel mahnt, dass Stimmen für die Piraten sogar das Fortleben schwarz-gelber Koalitionen ermöglichen könnten. Andere fürchten, dass es bald zu großen Koalitionen aus Union und SPD keine Alternativen mehr gibt, wenn die Piraten in Landtage und 2013 in den Bundestag einziehen.

Vielleicht werden die Piraten aber auch zur Unterstützung von rot-grünen Minderheits-Bündnissen gebraucht. Der neue Vorsitzende Schlömer schließt eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl 2013 nicht grundsätzlich aus. Und was wird, wenn in Bayern die Ablösung der CSU gelingen könnte - aber nur mit den Piraten?

Oft werden die Piraten von heute mit den jungen Grünen verglichen. Der Grünen-Experte Raschke will den Vergleich auch nur sehr begrenzt gelten lassen. Er findet die inhaltliche Basis der Piraten schmal. Das sei bei den Grünen anders gewesen. "Ökologie, Feminismus, Dritte Welt", sagt Raschke.

Auf die Frage, ob dies nicht vor allem eine andere Generation sei, hier die noch ziemlich jungen Piraten, dort die altgewordenen Grünen, meint Raschke: "Wenn jede Generation eine eigene Partei braucht, dann hat die Gesellschaft ein Problem." Die Piraten selbst sehen das durchaus selbstbewusst. "Viele Wähler der Piraten waren vorher Nichtwähler. Wir können die Parteienverdrossenheit auflösen", sagt Generalsekretär Schomacker.Neumünster. Der erste Pirat ist schon in der Regierung: Bernd Schlömer arbeitet als Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium. Als neu gewählter Bundesvorsitzender der Piraten muss der 41-Jährige nun eine Partei betreuen, die gerne streitet. "Es ist eine Aufgabe des Bundesvorsitzenden, dass er auch binden kann, um die unterschiedlichen Strömungen der Piratenpartei auszugleichen und zu einem gemeinsamen Ergebnis zu finden", sagt er.

Dieses Bindemittel ist dem bisherigen Vorsitzenden Sebastian Nerz ausgegangen. Vor allem aus dem erfolgreichen Berliner Landesverband geriet der 28-jährige Informatiker regelmäßig unter Beschuss. Schon vor dem Parteitag in Neumünster rief der Berliner Pirat Christopher Lauer zur Wahl von Schlömer auf. Nach der Wahl sagte Lauer: "Ich glaube, dass wir mit ihm einen Vorsitzenden haben, der die Fähigkeit hat, den Kahn zu führen."

So soll Schlömer auch das Profil der Partei in der Öffentlichkeit deutlicher sichtbar machen, als es der leise Nerz getan hat, der als Stellvertreter im Führungsteam bleibt. Der Bundesvorstand bleibt weiter an das vom Parteitag gegebene Mandat gebunden. Die Basis wünscht von ihm aber eine klarere Vertretung.

Beruflich kümmert sich Schlömer seit 2010 im Verteidigungsministerium um die Verwaltung der Bundeswehrhochschulen. An der in Hamburg war er seit 1998 beschäftigt, erst als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Methoden der Sozialforschung, dann in Finanzplanung und Verwaltung.

Wie stellt sich Schlömer die Außen- und Sicherheitpolitik der Piraten vor? Hier lässt er sich nicht aus der Defensive locken. In einer Fragerunde des Parteitags sagt er zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr: "Wenn die Piratenpartei Nein sagt, sage ich auch Nein." Ansonsten sei das Parlament zuständig.

Schlömer ist seit Mai 2009 bei den Piraten: "Ich wollte mich in allgemeinpolitischen Sachfragen engagieren und einbringen." Auslöser war die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung. Als Diplom-Kriminologe hatte Schlömer einen besonderen Blick auf die Frage, ob die massenhafte Speicherung von Verkehrsdaten im Netz wirklich erforderlich ist - "aus einem strengen bürgerrechtlich-liberalen Verständnis heraus, das ich habe". Das passt gut zum toleranten Hamburg, wo Schlömer mit Frau und zwei Kindern lebt. In der 2006 gegründeten Partei war Schlömer bald nach seinem Eintritt zwei Jahre lang Schatzmeister. Dann wurde er im Mai 2011 zum Stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Schlömer wurde in Meppen im Emsland geboren. Studiert hat er in Osnabrück, Sozialwissenschaften mit Diplomabschluss. Weil er im Justizvollzug arbeiten wollte, schloss er in Hamburg noch ein Kriminologie-Studium an.

 Als ausgleichend wird der neue Piraten-Chef Bernd Schlömer beschrieben. Foto: dpa

Als ausgleichend wird der neue Piraten-Chef Bernd Schlömer beschrieben. Foto: dpa

Um Gerechtigkeit bemüht sich Schlömer auch innerhalb der Partei. Er wirkt ausgleichend, ohne bestehende Konflikte zu ignorieren. Für den Umgang mit Rechtsaußen-Positionen strebt Schlömer ein "Monitoring" an - in vielen Gesprächen soll auf die Abweichler eingewirkt werden. Aber jetzt kommen erst die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Die Bundestagswahl ist für Schlömer weit weg: "Über die Konstellation im September 2013 kann noch niemand etwas sagen." dpa

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