Peter Müller - Richter am Bundesverfassungsgericht Peter Müller hat Geburtstag: „Ich war kein Kind von Traurigkeit“

Von 1999 bis 2011 war Peter Müller Ministerpräsident des Saarlandes, dann zog er sich aus der Politik zurück. Seitdem ist er Bundesverfassungsrichter. Im Gespräch mit SZ-Redakteur Daniel Kirch blickt er auf seine Zeit in Saarbrücken und Karlsruhe.

Spannend an seinem Richteramt in Karlsruhe sei vor allem die „intellektuelle Auseinandersetzung“, sagt Peter Müller.

Spannend an seinem Richteramt in Karlsruhe sei vor allem die „intellektuelle Auseinandersetzung“, sagt Peter Müller.

Foto: Robby Lorenz

Herr Müller, welches Amt ist fordernder: saarländischer Ministerpräsident oder Richter am Bundesverfassungsgericht ?

Müller: Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten. Intellektuell ist mein jetziges Amt deutlich anspruchsvoller, repräsentative Aufgaben spielen demgegenüber nahezu keine Rolle. Als Politiker ist man Kommunikator, weitgehend fremdbestimmt und hat kaum Zeit, einmal in Ruhe nachzudenken. Mein jetziges Amt ist durch die Pflicht zu absoluter Genauigkeit geprägt. Spannend sind vor allem die intellektuelle Auseinandersetzung und der inhaltliche Diskurs. Gestaltung gesellschaftlicher Wirklichkeit findet in beiden Ämtern statt.

Haben Sie nach Ihrem Abschied aus der Politik mal darüber nachgedacht, warum die Politik so ein schlechtes Ansehen hat?

Müller: Dieses schlechte Ansehen ist nicht gerechtfertigt. Über alle Parteigrenzen hinweg sind die Politiker in der Regel wirklich engagierte Leute, die sich mit viel Idealismus in den Dienst des Gemeinwohls stellen.

Warum dann das miese Image?

Müller: Das hat viele Ursachen. Parteienverdrossenheit und Politikerschelte haben in Deutschland Tradition. Ein Grund ist sicher auch: Es gibt keine Zunft, die so schlecht übereinander redet wie die Politiker. Das verlangt die jeweils eigene Klientel, die freut sich auch darüber, aber zur Glaubwürdigkeit trägt es nicht bei.

Fassen Sie sich da auch an die eigene Nase?

Müller: Sicher, ich war in der Politik kein Kind von Traurigkeit. Klartext zur Sache ist ja auch notwendig. Unzulässig ist aber die persönliche Diffamierung, die zur Politikerverachtung beitragen kann. Dafür gibt es keinen Grund. Mittlerweile darf ich als nicht mehr selbst Betroffener ja sagen: Achtet eure Politiker, die Demokratie braucht diese Leute!

Auch Ihr Gegenspieler Oskar Lafontaine , mit dem Sie sich in den 90er Jahren im Landtag Redeschlachten geliefert haben, ist kein Kind von Traurigkeit. Haben Sie sich mal bei ihm bedankt? Ohne seinen Rücktritt wären Sie 1999 nicht Regierungschef geworden.

Müller: Auf ihn war immer Verlass. (lacht)

Ein anderer ehemaliger Gegenspieler, Heiko Maas , ist heute Bundesjustizminister. Neidisch?

Müller: Überhaupt nicht. Wenn man mal Regierungschef war, will man nicht mehr als Minister in einer Regierung dienen, auch nicht im Bund. Ich hatte ja als Mitglied des Expertenteams von Angela Merkel 2005 die Möglichkeit und habe es nicht gemacht. Da gilt halt der Grundsatz: Lieber der Erste in der Provinz als der Zweite in Rom.

Jeder der länger amtierenden Ministerpräsidenten hat mit wichtigen Entscheidungen auch Landesgeschichte geschrieben. Was bleibt von Ihnen?

Müller: Die schwierigste soziale Auseinandersetzung war der Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau. Es ist uns gelungen, das Problem sozialverträglich zu lösen und die Krise friedlich zu beenden. Ich werde den Abend in Saarwellingen nach dem Erdbeben im Februar 2008 in meinem Leben nicht vergessen. Auch die Wochen davor und danach nicht. Die Lage drohte mehrfach zu eskalieren. Glücklicherweise gab es aber sowohl in der IG BCE als auch bei den Bergbau-Betroffenen besonnene Stimmen, mit denen man reden konnte. Am Ende stand eine Lösung ohne betriebsbedingte Kündigungen. Das war alles andere als selbstverständlich.

Eine wichtige Entscheidung, direkt nach dem Regierungswechsel 1999, war auch die Einführung des achtjährigen Gymnasiums. Tut es Ihnen weh, wenn Sie sehen, dass Eltern, Schüler und Lehrer heute wegen der hohen Belastung die Rückkehr zu G9 fordern?

Müller: Weh tut das nicht. Unser Ziel war Wahlfreiheit, auch wenn es uns wohl nur begrenzt gelungen ist, das zu kommunizieren. Die Idee war: Es muss ein achtjähriges Angebot am Gymnasium und einen neunjährigen Weg zum Abitur geben, Eltern und Schüler sollen dann selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. Ich halte dies unverändert für richtig.

In Ihre Amtszeit fiel auch die Einführung der Schuldenbremse . Damals war es eine eher theoretische Diskussion, seit 2011 sind harte Einschnitte nötig, um die Schuldenbremse einzuhalten. Im Nachhinein die richtige Entscheidung?

Müller: Die Sanierungshilfen von 260 Millionen Euro im Jahr waren nur möglich im Paket mit der Schuldenbremse . Ich habe keinen Grund, die Entscheidung von damals infrage zu stellen, weil sie dem Land Luft zum Atmen gegeben hat. Außerdem ist die Idee, verfassungsrechtliche Vorkehrungen gegen das ständige Auftürmen neuer Schulden zu treffen, ziemlich plausibel.

Hätten Sie, im Rückblick betrachtet, schon in Ihrer Amtszeit stärker sparen müssen?

Müller: Man muss immer austarieren zwischen den Sparnotwendigkeiten auf der einen und der Erhaltung der Zukunftsfähigkeit des Landes auf der anderen Seite. Kaputtsparen nutzt ja nichts. Wir haben die Entscheidungen getroffen, die wir für verantwortbar gehalten haben, dazu stehe ich. Es ist gelungen, den Strukturwandel erheblich voranzutreiben.

Wie nehmen Sie die Debatte um die Kostensteigerungen beim Vierten Pavillon wahr, auch ein Projekt Ihrer Regierungszeit?

Müller: Die Debatte ist ein Beispiel für die manchmal dann doch vorhandene Provinzialität des Saarlandes. Wenn Fehler gemacht worden sind, muss man die aufarbeiten und Konsequenzen ziehen. Aber dass man sich über eine einzelne, in der Sache unstreitig vernünftige Baumaßnahme und einen Kostenzuwachs, der mit Blick auf andere öffentliche Projekte wie etwa den Berliner Großflughafen oder die Hamburger Elb-Philharmonie recht kümmerlich daherkommt, jahrelang politisch ereifern kann, ist ein saarländisches Spezifikum. Außerhalb des Landes interessiert das keinen Menschen.

Haben Sie bei Ihrem Wechsel nach Karlsruhe Vorbehalte bei den anderen Richtern gespürt?

Müller: Überhaupt nicht. Die Kolleginnen und Kollegen haben es mir leicht gemacht. Es gab keine Vorbehalte, sondern eher ein Interesse an der Person. Was ist das für ein Mensch, wie argumentiert er juristisch, ist er insoweit auf der Höhe der Zeit, kann er sich behaupten? Für die Entscheidungsfindung im Senat ist es im Übrigen nicht schlecht, wenn jemand aus eigener Anschauung weiß, wie Politik funktioniert.

Gleichwohl gab es damals Kritik am Wechsel eines Politikers zum Bundesverfassungsgericht .

Müller: Die Debatte ist legitim. Aber sie war ja sehr schnell zu Ende, als ich in Karlsruhe war. Wenn jemand im Bundesverfassungsgericht versuchen wollte, eine politische Agenda durchzusetzen, würde er sich sofort ins Abseits stellen.

Es gab auch vereinzelt die Forderung, im neuen Amt Ihre CDU-Mitgliedschaft aufzugeben oder zumindest ruhen zu lassen.

Müller: Das wäre schlicht und einfach Heuchelei. Mein politischer Standort hat sich doch nicht verändert. Andere Richter sind politisch anders orientiert und das ist ebenso in Ordnung. Ich verleugne auch keine Freundschaften. Ich war schon vorher mit der Ministerpräsidentin befreundet und breche doch nicht meine Kontakte ab, nur weil ich jetzt Richter am Bundesverfassungsgericht bin. Die Tätigkeit als Richter wird dadurch nicht beeinflusst. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht Gestalter der Politik, sondern Hüter der Verfassung.

Mit Annegret Kramp-Karrenbauer, hier bei ihrer Ernennung zur Ministerpräsidentin im Jahr 2011, ist Müller seit Jahren befreundet. Foto: B&B

Mit Annegret Kramp-Karrenbauer, hier bei ihrer Ernennung zur Ministerpräsidentin im Jahr 2011, ist Müller seit Jahren befreundet. Foto: B&B

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Zur PersonPeter Müller regierte das Saarland von 1999 bis 2011 - länger waren bislang nur Franz Josef Röder (1959-1979) und Oskar Lafontaine (1985-1998) am Ruder. Müller wuchs im Eppelborner Ortsteil Bubach-Calmesweiler auf und studierte in Saarbrücken und Bonn Jura (1975-1983). Nach seinem Examen und einer Station als Assistent an der Saar-Uni war er Richter am Amtsgericht Ottweiler und am Landgericht Saarbrücken (1986-1990). Seine politische Karriere begann Müller als Landeschef der Jungen Union (1983-1987). Nach dem Einzug in den Landtag 1990 stieg er schnell zum CDU-Fraktionschef (1994) und CDU-Landesvorsitzenden (1995) auf. Bei den Landtagswahlen 1999 und 2004 führte er die CDU zur absoluten Mehrheit. 2009 schmiedete er die erste schwarz-gelb-grüne Koalition auf Landesebene, die 2012 wieder zerbrach. 2011 zog er sich aus der Politik zurück und wurde Bundesverfassungsrichter. SZ

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