Patienten werfen Ärzten in tausenden Fällen Pfusch vor

Berlin · „Pfusch am Bauch“ kommt in den Operationssälen der Krankenhäuser ungebrochen häufig vor. Patienten sind aber auch in den Arztpraxen keineswegs immer sicher, wie jetzt der Medizinische Dienst der Krankenkassen mitteilte.

Ein vergessener Tupfer, falsch behandelte Knochenbrüche oder ein übersehener Herzinfarkt - auch im vergangenen Jahr haben sich 23 000 Patienten wegen Ärztepfusch offiziell beschwert. Allein beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) gab es mehr als 12 000 Verdachtsfälle. Und bei etwa jedem dritten Fall bekam der Patient Recht. Hinzu kommen tausende Beschwerden bei den Gutachterstellen der Ärzte.

Der 71-jährige Heinz K. musste sich einer Operation am offenen Herzen unterziehen. Als der Eingriff beendet war, fehlte im OP eine Kompresse. Statt den Patienten zu röntgen, tastete der Arzt ihn nur ab und verschloss nach erfolgloser Suche den Brustkorb. Kurz darauf klagte der Patient über massive Beschwerden, und es stellte sich heraus, dass die Kompresse im Herzbeutel "vergessen" worden war. Nur einer von insgesamt 12 483 Fällen, die der MDK 2012 zu prüfen hatte. Diese Größenordnung entspricht ungefähr dem Niveau des Vorjahres. In fast einem Drittel der Vorgänge (31,5 Prozent) konnten die Gutachter tatsächlich ärztliches beziehungsweise pflegerisches Versagen feststellen. Auch diese Quote deckt sich weitgehend mit der von 2012. Die nahezu unverändert hohen Zahlen belegten den Handlungsbedarf, meinte Vize-Geschäftsführer Stefan Gronemeyer gestern bei der Vorstellung der MDK-Statistik.

Erst vor knapp drei Monaten trat das neue Patientenrechtegesetz in Kraft, welches nach Einschätzung Gronemeyers aber nur unzureichende Verbesserungen im Kampf gegen Behandlungsfehler bringt. So liegt zum Beispiel die Beweislast nach wie vor in erster Linie beim Patienten. Das bedeutet, dass er in der Regel den Fehler, den Schaden sowie den Kausalzusammenhang zwischen beiden Sachverhalten belegen muss. Gronemeyer kritisierte auch, dass immer noch ein bundesweites Register für Behandlungsfehler fehle, weshalb in Deutschland "auch kaum etwas" über deren Ausmaß bekannt sei.

In der Tat ist die Dimension von ärztlichem Pfusch nur schwer zu ermitteln. So geht man beim MDK von einer "hohen Dunkelziffer" aus, weil Fehler oft gar nicht erkannt würden. Vielen Patienten ist auch nicht bekannt, dass sie sich bei einem vermuteten Behandlungsfehler an ihre Krankenkasse wenden können, die wiederum den Medizinischen Dienst in Marsch setzt. Dessen Bilanz ist aber schon deshalb unvollständig, weil Geschädigte auch die Ärztekammern einschalten. Deren neueste Daten werden erst Mitte Juni veröffentlicht. Nach SZ-Informationen sollen sie sich aber ebenfalls auf dem Vorjahresniveau bewegen. Im Jahr 2011 registrierten die Ärztekammern 2287 bestätigte Fälle medizinischen Versagens, 99 Menschen starben. Darüber hinaus können Patienten direkt zu einem Anwalt gehen und den Verdacht von einem freien Gutachter prüfen lassen. Solche Vorgänge werden statistisch nicht erfasst.

Zu den medizinischen Fachgebieten mit den meisten Verdachtsfällen zählen seit Jahren unverändert die Orthopädie und Unfallchirurgie. Es folgen zahnärztliche Eingriffe und erst danach die innere Medizin und Gynäkologie. Auf diesen Feldern seien die Folgen eines fehlerhaften Eingriffs für die Patienten leichter wahrnehmbar als etwa bei einer problematischen Behandlung mit Medikamenten, erläuterte MDK-Expertin Astrid Zobel. Die höchsten Quoten bei den tatsächlichen Behandlungsfehlern finden sich übrigens im Pflegesektor (58,9 Prozent) und bei der Zahnmedizin (45,5 Prozent).

Letztlich dürfte sich der Erfolg für den Patienten aber auch an der Höhe der Entschädigung messen. Und da kann es gewaltige Unterschiede geben. Im schon erwähnten Fall von Heinz K. wollte die Versicherung des zuständigen Krankenhauses nur ein Schmerzensgeld für die notwendige Entfernung der Kompresse aus dem Herzbeutel zahlen. Einen Zusammenhang zwischen dem vergessenen Fremdkörper und der akuten Verschlechterung des Gesundheitszustands von Herrn K. ließ die Versicherung nicht gelten. Genau diese Verbindung wurde jedoch durch das MDK zweifelsfrei bewiesen. Nach Lesart der Versicherung hätten Heinz K. nur einige tausend Euro Schmerzensgeld zugestanden. Am Ende waren es dank MDK mehrere hunderttausend.

Zum Thema:

HintergrundIm Saarland hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherung im vergangenen Jahr 118 Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. 23 Mal, also in knapp jedem fünften Fall, bestätigte sich der Verdacht. Zudem wurden 110 Vorberatungen durchgeführt. Die häufigsten Fehler liegen den Angaben zufolge wie auch bundesweit im Bereich von Orthopädie, Chirurgie und Zahnmedizin. mast

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort