Partnerschaft auf Zeit statt Bund fürs Leben

Karlsruhe. Justitia trägt eine Augenbinde, weil der Richter ohne Ansehen der Person urteilen soll. Die gesellschaftliche Realität dagegen sollte der Richter und noch mehr der Gesetzgeber mit wachen Augen beobachten - weil das Recht manchmal an die veränderte Wirklichkeit angepasst werden muss

Karlsruhe. Justitia trägt eine Augenbinde, weil der Richter ohne Ansehen der Person urteilen soll. Die gesellschaftliche Realität dagegen sollte der Richter und noch mehr der Gesetzgeber mit wachen Augen beobachten - weil das Recht manchmal an die veränderte Wirklichkeit angepasst werden muss. Genau dies geschieht derzeit im Familienrecht: Die Ehe mutiert gerade vom Bund fürs Leben zur Partnerschaft auf Zeit, in der Realität wie im Gesetzbuch. Gleichzeitig wird die einstmals "wilde" Ehe bürgerlich - sie wird zunehmend geregelt. Beim 67. Deutschen Juristentag, der morgen in Erfurt beginnt, werden die führenden Experten des Familienrechts diese Entwicklung diskutieren - und wahrscheinlich auch fortschreiben. Das zeigen die bisher veröffentlichten Thesen der Abteilung Zivilrecht des im Zwei-Jahres-Rhythmus veranstalteten Fachkongresses, der außerdem Themen wie Modernisierung des Arbeitsrechts und Privatisierung öffentlicher Aufgaben behandelt. Schon seit Jahren verabschieden sich die Familienrechtler zunehmend von konservativen Versuchen, die immer brüchiger werdende Ehe wenigstens juristisch festzuklopfen. Stattdessen orientieren sie sich an der sozialen Realität. Und dort ist die nicht-eheliche Lebensgemeinschaft - von "wilder Ehe" spricht heute niemand mehr - inzwischen zu einer Institution der bürgerlichen Mitte geworden. Jedes zehnte Paar lebt unverheiratet zusammen, insgesamt sind es 2,4 Millionen - zweieinhalb Mal so viel wie vor anderthalb Jahrzehnten. Und die Lebensform, die eigentlich von kinderlosen Paaren bevorzugt wird, gewinnt auch als Familienmodell mit Kindern an Attraktivität: Während die Geburtenzahl in Ehen sinkt, ist sie in Nicht-Ehen seit dem Jahr 2000 um zehn Prozent gestiegen. Gesetzgeber und Rechtsprechung haben auf die wachsenden Ähnlichkeiten zwischen Ehe und Nicht-Ehe bereits reagiert. Etwa beim "Betreuungsunterhalt": Früher machte der Trauschein den entscheidenden Unterschied, wenn es um die Zahlungen für die Betreuung gemeinsamer Kinder ging - seit Jahresanfang gilt hier Gleichbehandlung. Kürzlich half der Bundesgerichtshof (BGH) den Unverheirateten sogar beim Ausgleich ihrer Vermögensinteressen nach der Trennung, was bisher im Wesentlichen der Scheidung vorbehalten war: Er erleichterte Rückforderungen eines Partners, der Geld in den Hausbau gesteckt hatte. Nina Dethloff, Gutachterin beim Juristentag, will noch weiter gehen. "Für bestimmte verfestigte Lebensgemeinschaften sollten gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die den Ausgleich eines partnerschaftsbedingten wirtschaftlichen Ungleichgewichts ermöglichen." Sie schlägt einen Vermögensausgleich, Unterhaltsansprüche und sogar Regeln zur Verteilung des Hausrats vor. Wer trotzdem ungeregelt zusammenleben möchte, müsste dies vertraglich festlegen. Während die Lebensgemeinschaft damit immer eheähnlicher würde, geht die Tendenz bei der Ehe in Richtung Abbau der lebenslangen Versorgungsgarantie. Früher wirkte der hohe moralische Anspruch, einen Bund fürs Leben zu schließen, auch über die Scheidung hinaus. Es galt: Einmal Chefarzt-Gattin, immer Chefarzt-Gattin - im Unterhalt setzte sich der gehobene Lebensstandard fort. Heute spielt die Ehe - unterhaltsrechtlich gesehen - vor allem als Schadensfall eine Rolle: Unterhalt gibt es für "ehebedingte Nachteile". Schon die zum Jahresbeginn in Kraft getretene Reform des Unterhaltsrechts hat nachdrücklich das Prinzip Eigenverantwortung in den Mittelpunkt gerückt, also die Pflicht, nach der Scheidung möglichst bald für sich selbst zu sorgen. Zwar kann nach wie vor Unterhalt beanspruchen, wer für Ehe und Kinder auf die berufliche Karriere verzichtet hat und deshalb "ehebedingte Nachteile" erlitt. Einen Automatismus, den "erheirateten" Lebensstandard beizubehalten, gibt es aber nicht mehr. Gerd Brudermüller, Vorsitzender des Familiengerichtstages, will diesen Grundsatz noch konsequenter umgesetzt sehen. Nach seinen Vorschlägen, die er beim Juristentag vortragen will, würden auch die letzten Restbestände aus dem "Bund fürs Leben" deutlich eingeschränkt. Unterhalt wegen Krankheit, Alter oder Arbeitslosigkeit soll nach seinem Dafürhalten nur noch dann möglich sein, wenn die Bedürftigkeit auf der Ehe beruht, sonst nicht. Das Versprechen, in guten wie in schlechten Tagen füreinander zu sorgen, müsste dann mit dem Zusatz versehen werden: bis dass der Richter euch scheidet. Während die Geburtenzahl in Ehen sinkt, ist sie in Nicht-Ehen seit dem Jahr 2000 um zehn Prozent gestiegen.

HintergrundEhe definiert Meyers Lexikon folgendermaßen:Ehe. im deutschen Recht die durch die Rechtsordnung anerkannte Verbindung eines Mannes und einer Frau zu dauernder Lebensgemeinschaft. Die Ordnung der Ehe ist von den sittlichen und religiösen Grundlagen abhängig, auf denen die einzelnen Gesellschaften beruhen. Infolge ihrer gesellschaftlichen Bedeutung steht die Ehe unter öffentlichem Rechtsschutz. red

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