Papst in neuem LichteDer Papst zu Kondomen und Holocaust

Rom. Von der Ehe bis zum homosexuellen Priester, von der Haltung seiner katholischen Kirche zum Islam bis hin zu dem schweren Missbrauchskandal - noch nie hat sich ein Papst derart heiklen Fragen gestellt. Ausführlich und vielfach entwaffnend offen sprach Benedikt XVI. mit Peter Seewald über Gott und die Welt. Heute erscheint das Buch "Licht der Welt

Rom. Von der Ehe bis zum homosexuellen Priester, von der Haltung seiner katholischen Kirche zum Islam bis hin zu dem schweren Missbrauchskandal - noch nie hat sich ein Papst derart heiklen Fragen gestellt. Ausführlich und vielfach entwaffnend offen sprach Benedikt XVI. mit Peter Seewald über Gott und die Welt. Heute erscheint das Buch "Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit".Sicher, was das 83-jährige Kirchenoberhaupt zu Kondomen, zum Sextourismus oder zum Tragen der Burka zu sagen hat, konnte dank der intensiv gerührten Werbetrommel des Freiburger Herder-Verlages schon vorab Schlagzeilen machen. Doch das waren bislang nur aus dem Zusammenhang gerissene Versatzstücke, die lediglich einen ersten Eindruck von dem geben, was Joseph Ratzinger alles zu sagen hat. Jener Ratzinger, dem doch so viele vorhalten, ein reformunwilliger und strenger Theologe auf dem Stuhl Petri zu sein.

Was der deutsche Publizist ihm für sein jüngstes Papst-Buch plaudernd entlockt, das wirkt wie eine Kommunikationsoffensive des Führers einer Kirche, die sich während der diversen Krisen auf diesem Feld nicht mit Ruhm bekleckert hat.

Und das sieht auch Benedikt durchaus so. Die Rücknahme der Exkommunikation des Pius-Bruders Williamson habe einen "Super-Gau" ausgelöst: "Leider hat niemand bei uns im Internet nachgeschaut und wahrgenommen, um wen es sich hier handelt." Damit erneuert Benedikt Selbstkritik. Dass die protestantische Bundeskanzlerin Angela Merkel daraufhin vom Vatikan forderte, sich klar gegen den Antisemitismus zu bekennen, müsse darauf zurückzuführen sein, dass sie die Haltung seiner Kirche "nur unvollständig" kenne. Was ihm aus der Heimat da an Kritik entgegenschlug, soll ihn sehr geschmerzt haben.

Benedikts Abrücken vom kategorischen Kondomverbot wurde weltweit als Wendepunkt betrachtet. Der Wirbel verdeckt aber, dass der Papst an seinen Werten durchaus festhält - und das, wie er findet, in Zeiten einer "Vergiftung des Denkens" und einer "neuen Intoleranz". Die Kirche ist für ihn oftmals die einzige Hoffnung in einer Welt, in der für viele der Atheismus heute "die normale Lebensregel" ist. Es sei eine Riesen-Herausforderung, den Zölibat der Priester und die Ehe zu stützen: "Die monogame Ehe gehört zum Fundament, auf dem die Zivilisation des Westens beruht." Und wenn denn ein Priester eine Frau hat, müsse geprüft werden, ob sie eine gute Ehe führen können. Da ist der Papst ganz offen: "Wenn dem so ist, müssen sie diesen Weg gehen."

Angst vor einem Attentat hat Benedikt nicht, und in der Krise um den Missbrauch war für ihn ein Rücktritt keine Option: "Wenn die Gefahr groß ist, darf man nicht davonlaufen." Abtreten dürfe man in einer friedlichen Minute oder wenn man einfach nicht mehr könne. Benedikt ist immerhin 83 Jahre alt. Und er merkt, dass die Kräfte nachlassen. Also braucht er seine Ruhezeiten. Kein Pontifex könne nur Unfehlbares produzieren. Und erzwingen könne er auch nichts. Ein Motto gibt er aber doch gern weiter: Sich nicht dem Diktat der Meinungen beugen.

Der Papst sagt zur Afrika-Reise aus dem Jahr 2009 und seiner umstrittenen Äußerung, dass Kondome nicht die Lösung des Aids-Problems seien: "Man kann das Problem nicht mit der Verteilung von Kondomen lösen. Es muss viel mehr geschehen (. . .). Man hatte mich gefragt, warum die katholische Kirche in Sachen Aids eine unrealistische und wirkungslose Position einnehme. Daraufhin fühlte ich mich (. . .) herausgefordert (. . .). Weil sie als einzige Institution ganz nah und ganz konkret bei den Menschen ist (. . .)." (S.145)

Über die Verwendung von Kondomen: "Es mag begründete Einzelfälle geben, etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will. (. . .) Aber es ist nicht die eigentliche Art, dem Übel der HIV-Infektion beizukommen. Diese muss wirklich in der Vermenschlichung der Sexualität liegen. (. . .) Im einen oder anderen Fall kann es in der Absicht, Ansteckungsgefahr zu verringern, jedoch ein erster Schritt sein auf dem Weg hin zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität." (S.146, 147)

Zum Missbrauchskandal: "Es war für uns alle erschütternd. Plötzlich so viel Schmutz. (. . .) Aber es galt, nicht zugleich den Blick dafür zu verlieren, dass es in der Kirche das Gute gibt und nicht nur diese schrecklichen Dinge. (. . .) Es ist eine besonders schwere Sünde, wenn jemand, der eigentlich den Menschen zu Gott helfen soll, dem sich ein Kind, ein junger Mensch anvertraut (. . .), ihn stattdessen missbraucht und vom Herrn wegführt. Dadurch wird der Glaube als solcher unglaubwürdig (. . .)." (S.40-42)

Zum Fall des Holocaustleugners Richard Williamson:

"Von unserer Seite wurde leider schlechte Öffentlichkeitsarbeit geleistet (. . .), der Fall Williamson (hätte) abgetrennt werden müssen. Aber leider hat niemand bei uns im Internet nachgeschaut und wahrgenommen, um wen es sich hier handelt." (S.149) dpa

Zur Person

Als Katholik und Messdiener wuchs Peter Seewald in Bayern auf, als Marxist verteilte er Flugblätter und gründete eine linksradikale Wochenzeitung. Er ist Autor und Journalist - und Jahre nach seinem Kirchenaustritt längst wieder zum Glauben zurückgekehrt. "Als ich begann, wieder an Gott zu denken", nannte er sein Buch, das diesen Weg beschreibt. Bekannt machten Seewald jedoch vor allem seine Interviews mit Joseph Ratzinger, dem "großen Lehrer", wie er ihn nennt. Zum ersten Mal saßen sich Seewald und der damalige Kardinal 1996 gegenüber. Aus ihren Gesprächen entstanden Seewalds Bücher "Salz der Erde" (1996) und "Gott und die Welt", das im Jahr 2001 erschien.

Seine Begegnungen mit Ratzinger hätten seine Rückkehr zum Glauben extrem beschleunigt, erklärt der heute 56 Jahre alte Seewald. Dennoch sei er kein Jünger des Papstes, er schätze ihn vor allem als Philosophen, sagt Seewald. Den Idealismus, den er einst im Kommunismus gesucht habe, finde er nun im Katholizismus. Regelmäßig zieht sich Seewald ins Kloster zurück, in seiner Wohnung soll sogar ein Weihwasserbecken stehen. Er arbeitete unter anderem für "Spiegel" und "Stern". dpa

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