Osteuropäer blockieren den Gipfel

Brüssel · Vor sieben Jahren setzte sich die EU zum ersten Mal ehrgeizige Ziele beim Klimaschutz für 2020. In der vergangenen Nacht ging es darum, neue Perspektiven für das Jahr 2030 zu vereinbaren. Unser Korrespondent Detlef Drewes sagt, wie es nach 2020 weitergehen dürfte.

Die Bundeskanzlerin pflegt europäische Gipfeltreffen üblicherweise mit einer gehörigen Portion Optimismus zu beginnen. Doch als sie am gestrigen Donnerstag in Brüssel eintraf, musste sogar Angela Merkel feststellen: "Das wird nicht einfach." Zur Bekräftigung setzte sie noch hinzu: "Ich kann nicht ausschließen, dass wir heute noch nicht zu einem Ergebnis kommen."

Auf dem Tisch lagen das Thema Klimaschutz und die Fortschreibung der Ziele, die man sich für 2020 vorgenommen hatte, bis 2030. Innerhalb dieser zehn Jahre wollten die Autoren des Vorschlages, den die Staats- und Regierungschefs in der vergangenen Nacht berieten, den CO{-2}-Abbau von 20 auf 40 Prozent vorantreiben, die alternativen Energien von 20 Prozent auf 30 Prozent erhöhen und nicht mehr nur 20, sondern 30 Prozent Energie einsparen.

"Ob wir das schaffen?", fragten sich neben der deutschen Kanzlerin auch andere. Zu diesem Zeitpunkt saßen nämlich schon die Regierungschefs Polens, Tschechiens, der Slowakei, Rumäniens und Bulgariens konspirativ zusammen. Die Staaten am Ende der EU-Wohlstandsskala fühlen sich von einem derartigen Kraftaufwand völlig überfordert. Ihre Lösung: Milliarden-Zuschüsse aus einem umgebauten Emissionshandelssystem, um ihre Altanlagen klimaschonend zu sanieren. Doch damit nicht genug. Intern hatten die Ost-Länder eine regelrechte Attacke auf die europäische Aufgabenteilung zwischen EU-Gipfelrunde, Kommission, Ministerrat und Parlament vorbereitet. Vor allem die neue polnische Ministerpräsidentin Ewa Kopacz drängte darauf, dass die Gipfelrunde auch künftig bei Schlüsselentscheidungen die Oberhoheit haben sollte. Sie hatte gute Karten: Schließlich tritt ihr Vorgänger Donald Tusk Ende November sein Amt als neuer Ratspräsident der Union an.

Üblicherweise werden Leitlinien des Rates von der Kommission ausformuliert und dann dem Parlament so wie dem Ministerrat zur Entscheidung zugestellt. Dort aber reicht bei Abstimmungen die qualifizierte Mehrheit, sodass man Polen unter Umständen überstimmen könnte. Der CDU-Klimaschutz-Experte Peter Liese nannte das Vorhaben einen "Anschlag auf die Demokratie in Europa". Noch bevor man in die Beratungen ging, baten Merkel, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Ratspräsident Herman Van Rompuy die neue polnische Kollegin zum Gespräch. Doch die blieb hart.

Tatsächlich lagen zu diesem Zeitpunkt die Nerven schon blank, obwohl das Gipfeltreffen noch nicht einmal begonnen hatte. Auch von den geschlossenen Beratungen der Sherpas, wie die Berater der Staats- und Regierungschefs im EU-Jargon genannt werden, drangen nur Nachrichten nach außen, aus denen klar wurde, dass von der 40/30/30-Formel nur Versatzstücke übrig bleiben dürften. Sowohl bei der effizienteren Nutzung von Energie wie auch beim Umstieg auf regenerative Träger gab es massiven Widerstand - nicht nur aus dem Osten. "Nicht weniger als 27 Prozent" lautete die Kompromissformel, mit der man in die abendlichen Verhandlungen der "Chefs" ging.

Umweltschützer wie die BUND-Energieexpertin Ann-Kathrin Schneider sprachen bereits von einem "lächerlich niedrigen Effizienzziel". Aber mehr ist nicht drin, hieß es aus der britischen Delegation. "Wir brauchen nicht nur Klimaschutz , sondern auch eine wettbewerbsfähige Wirtschaft", betonte Premier David Cameron . Spätestens da war klar: Vor den 28 Staats- und Regierungschefs würde eine sehr lange Nacht möglicherweise sogar mit offenem Ausgang liegen.Wird die EU sich weiter für einen ambitionierten Klimaschutz aussprechen?

Das große Ziel heißt: Der globale Temperaturanstieg soll auf höchstens zwei Grad begrenzt werden. Deshalb vereinbarte man 2007, bis 2020 die CO{-2}-Emissionen um 20 Prozent (im Vergleich zu 1990) zurückzuführen, 20 Prozent Energie einzusparen und 20 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. Für 2030 war ursprünglich vorgesehen, diese Marken auf 40/30/30 hochzusetzen. Doch es war klar, dass das nicht gelingen würde.

Warum nicht?

Weil die Interessen der Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind. Großbritannien geht beispielsweise bei einem 40 -prozentigen Abbau der Kohlendioxid-Emission mit, will aber auf keinen Fall Energie bis zu 30 Prozent effizienter nutzen müssen. Polen , das stark von der Kohle lebt, fordert einen Sonderfonds, um daraus die Modernisierung der alten Anlagen zu finanzieren. In den Vorgesprächen deutete sich an, dass man sich auf die Formel 40/27/27 verständigen könnte.

Was bedeutet das für die Bundesrepublik?

Im Gegensatz zu den mutmaßlichen Zielwerten für erneuerbare Energiequellen und Effizienz werden die 40 Prozent, um die der CO{-2}-Ausstoß gesenkt werden soll, auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt. Deutschland muss deshalb vermutlich seine Emissionen des Klimakillers um bis zu 55 Prozent zurückfahren.

Und wer bezahlt das?

Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag, den Emissionshandel zu reformieren. Ursprünglich war daran gedacht, dass die etwa 11 000 Firmen in der EU, die besonders viel CO{-2} emittieren, entweder in neue Produktionsanlagen investieren oder zur Strafe teure Zertifikate kaufen müssen. Dieses System funktioniert aber nur, wenn die Papiere mindestens 30 Euro je Tonne CO{-2} oder mehr kosten. Derzeit liegt der Preis allerdings bei rund fünf Euro. Nun will die Kommission etliche Milliarden der Verschmutzungsbons aus dem Markt nehmen, um den Preis zu heben. Diese Einnahmen könnten in einen Sonderfonds fließen, aus dem dann einige EU-Mitgliedstaaten Geld bekommen.

Meinung:

Botschaft verfehlt ihre Wirkung

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Es sollte niemand so tun, als hätten die Staats- und Regierungschefs der EU vor sieben Jahren entschlossen die ersten Klimaschutz-Ziele unterschrieben. Das Gegenteil war der Fall. Fast die ganze Nacht lang musste die Kanzlerin 2007 ihr Mantra wiederholen: Klimaschutz ist ein Investitionsprogramm. Damit kann man Geld verdienen. Diese Botschaft kommt kurz nach der Finanzkrise nicht mehr an. Und auch wenn man in anderem Zusammenhang die Abhängigkeit der meisten Mitgliedstaaten von russischem Gas bedauert, reicht diese Erkenntnis eben nicht aus, um an die Wirksamkeit eines ökologischen Umsteuerns zu glauben.

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