Onkel Sam erleidet Staatsinfarkt

Washington · Da sich der Kongress nicht auf die notwendigen Haushaltsmittel verständigen konnte, kommt das öffentliche Leben in den USA zum Erliegen. Und ein baldiges Ende des „Government Shutdowns“ ist nicht in Sicht.

Elerky Crosby (66) tauchte an ihrem Arbeitsplatz beim "National Institute of Health" (NIH) in Bethesda nur kurz auf, um offiziell zu hören, was sie schon ahnte. Als "nicht wesentliche" Staatsangestellte werde sie bis auf weiteres nicht gebraucht. Wie rund 800 000 andere Beschäftigte der Bundesregierung, die nach dem Scheitern der Haushaltsgespräche im Kongress gestern vier Stunden Zeit bekamen, ihre Büros zu räumen. "Das macht mir abgrundtiefe Angst", gesteht die Bürohelferin, die sich nun fragt, wie sie ihre Rechnungen bezahlen soll. Vor 17 Jahren, beim letzten "Government Shutdown" (siehe Info), dauerte es 21 Tage, bevor Crosby ihr Gehalt wieder ausgezahlt bekam.

Die einzigen Staatsdiener, die jetzt noch Geld erhalten, sind die aktiven Soldaten, die in Afghanistan und andernorts ihr Leben riskieren. An sie wandte sich US-Präsident Barack Obama in einem Video. "Sie und Ihre Familien verdienen etwas Besseres als die Dysfunktion, die sie im Kongress sehen", erklärte Obama, der kurz zuvor die Weiterbezahlung der Truppen unterzeichnet hatte.

Die NIH-Angestellte Crosby hofft, dass die Streithähne auf dem Capitol Hill sich bald einigen. Wie tausende Touristen, die in der amerikanischen Hauptstadt bei schönstem Herbstwetter vor Metallbarrikaden, gelben Absperrbändern und verschlossenen Türen stehen. "Alle Nationalparks geschlossen" verkündet ein Schild vor dem Washington Memorial.

Vom Acadia National Park in Maine über die Freiheitsstatue auf Ellis Island in New York bis hin zum Yosemite Park in Kalifornien gibt es keinen Einlass mehr. Camper haben zwei Tage Zeit, ihren Platz zu räumen. Der Nationalzoo in Washington versichert, die Tiere würden weiter gefüttert. Für die beliebte Videokamera aus dem Panda-Revier gibt es dagegen keine Mittel mehr. Die "Washingtonians" reagieren mit Zynismus auf den "Government Shutdown". Restaurants ködern Besucher mit "Shutdown Specials". Eine Burger-Braterei lud zwangsbeurlaubte Staatsbedienste zu kostenlosen Fleischbrötchen ein. Bürgermeister Vincent Gray erklärte alle 34 000 Stadt-Bediensteten für "unverzichtbar" - ungeachtet der Gesetzeslage, nach der im Destrikt Columbia der öffentliche Dienst ebenfalls ruhen muss, wenn die Bundesregierung den Geldhahn zudreht. 1996 führte das zu einem gewaltigen Müllproblem.

Vor den Stufen des US-Kongresses machen Betroffene ihrem Ärger Luft. "Tut Euern Job, damit ich meinen erledigen kann", hat ein Demonstrant auf sein Pappschild geschrieben. Zielscheibe des Unmuts sind die Republikaner, die nach Ansicht der meisten Amerikaner den Stillstand herbeigeführt haben. Obwohl die Bevölkerung geteilter Ansicht über die Gesundheitsreform bleibt, die gestern in Kraft trat, lehnen es in Umfragen 80 Prozent der Befragten ab, weitere Haushaltsmittel an eine Verschiebung der Reform zu knüpfen.

Entsprechend unnachgiebig wiesen Senatsführer Harry Reid und Präsident Obama alle Versuche der Republikaner im Repräsentantenhaus zurück, Änderungen an der Jahrhundertreform über das Budget zu erzwingen. "Wir werden nicht mit der Pistole an der Schläfe verhandeln", erklärte Reid nach der letzten nächtlichen Zurückweisung eines mit Bedingungen verknüpften Vorstoßes der Republikaner: "Die haben ihren Verstand verloren." Der Senatsführer forderte John Boehner, Sprecher des Repräsentantenhauses, auf, die "Bananen-Republikaner" in seiner Fraktion in die Schranken zu weisen. Damit meinte Reid die rund 50 Angehörigen der radikalen Tea-Party-Fraktion, die den republikanischen Führer auf den Entweder-Oder-Kurs festgelegt hatten. Sehr zum Unbehagen moderaterer Konservativer, die bereit waren, zusammen mit den Demokraten ein "sauberes" Ausgabengesetz zu beschließen.

Wie ein Ausweg aus dem Schlamassel aussehen könnte, wagt derzeit niemand vorherzusagen. Mitte des Monats gehen der Regierung die letzten Bar-Reserven aus, um bereits angefallene Rechnungen zu begleichen. Falls die Republikaner auch bei der Anhebung der Schuldendecke hart bleiben, kommt es zum Staatsbankrott mit unabsehbaren Folgen.

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Hintergrund"Government Shutdown" ("Abschaltung der Regierung") nennen die USA den massenhaften Zwangsurlaub von Staatsbediensteten. Seit dem 1. Oktober haben US-Behörden ihre Arbeit zu großen Teilen eingestellt. Ein Überblick: Weißes Haus: Der Amtssitz von Präsident Barack Obama ist besonders hart getroffen. Von den rund 1700 Mitarbeitern bleiben 1300 Zuhause. Nasa: Die meisten Aktivitäten der US-Raumfahrtbehörde fallen aus. Einige Mitarbeiter bleiben aber im Dienst, um die Versorgung der Internationalen Raumstation ISS und Satelliten im All zu garantieren. Börsenaufsicht: Die Börsenaufsicht bleibt geschlossen. Sicherheitsbehörden: Militär, Gefängniswächter und Mitarbeiter der Grenzsicherheit gehen weiter ihrer Arbeit nach. Ministerien: Die meisten Mitarbeiter der Ministerien für Arbeit, Bau, Gesundheitspflege, Soziale Dienste, Umweltschutz, Bildung und Handel bleiben Zuhause. Das Heimatschutzministerium erhält den Betrieb dagegen größtenteils aufrecht. Soziales: Renten sowie staatliche Krankenversicherungen für Ältere und Bedürftige werden weiterhin ausgezahlt. Neuanträge sind derzeit aber nicht möglich. Energie: Rund zwei Drittel der Mitarbeiter des Energieministeriums bleiben zuhause. Diejenigen, die für die Nuklearsicherheit und die Überwachung von Staudämmen und Überlandleitungen zuständig sind, bleiben im Dienst. Schulen: Öffentliche Schulen bleiben geöffnet. Post: Briefe und Pakete kommen weiterhin bei ihren Adressaten an, da es sich beim United States Postal Service um eine unabhängige Behörde handelt. Verkehr: Der Betrieb an Flughäfen kann aufrechterhalten werden, da die Flugsicherheit und die Angestellten der Gepäckkontrolle vom Stillstand ausgenommen sind. Die Staatsbahn will auch den Zugverkehr aufrechterhalten. Auslandsvertretungen: Botschaften und Konsulate im Ausland bleiben zunächst geöffnet. dpa

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