Ohne Deutsch nach Deutschland

Luxemburg/Saarbrücken · Ob eine Ehefrau aus der Türkei zu ihrem Mann nach Deutschland ziehen darf, darf nicht vom vorherigen Besuch eines Sprachkurses abhängig gemacht werden. Das urteilte gestern der Europäische Gerichtshof.

Einfach seinen Partner zu sich nach Deutschland holen - für viele in der Bundesrepublik lebende Türken ein großes Problem. Grund dafür ist der seit 2007 erforderliche Sprachnachweis. Der Ehepartner muss also schon in der Türkei einen Deutschkurs belegt und eine Prüfung absolviert haben, um einreisen zu dürfen. Solche Fälle kennt Ahmet Kadas sehr gut, der saarlandweit bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Migrations- und Integrationsdienst tätig ist. So war das auch bei Okan K. (Name wurde von der Redaktion geändert), der von Kadas betreut wird. "Er zog mit den vier gemeinsamen Kindern nach Deutschland, um zu arbeiten. Seine Frau blieb erstmal bei den Verwandten im Osten der Türkei. Als sie dann zu ihrer Familie ziehen wollte, verweigerten ihr die deutschen Behörden in der Türkei das Visum, weil sie keinen Deutschkurs besucht hatte", erzählt Kadas. Von einer Frau, die in ihrem Leben nur fünf Jahre in der Grundschule besucht habe und in einer abgelegenen Gegend wohne, zu verlangen, vor der Einreise einen Deutschkurs zu besuchen, sei absurd, findet Ahmet Kadas. Immerhin komme er selbst aus der Türkei und kenne die Lage. 4,5 Jahre und eine Klage von Okan K. gegen das Auswärtige Amt in Berlin später durfte seine Ehefrau nach Dudweiler ziehen.

Seit gestern sollten es viele Familien in ähnlicher Situation wesentlich einfacher haben. Denn der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat entschieden, dass eine türkische Ehefrau nicht Deutsch sprechen können muss, um zu ihrem Mann in der Bundesrepublik ziehen zu dürfen. Das Urteil ist kein Beitrag zu einer erleichterten Einreise von Ehepartnern, sondern für die Niederlassungsfreiheit ihrer Ehemänner . In den 1970er Jahren hatten die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit der Türkei ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet. Wenig später wurde eine Stillhalte-Vereinbarung ergänzt, in der versprochen wurde, keine weiteren Hindernisse zur Niederlassungsfreiheit zu errichten. Deutschland habe dies aber mit der Einführung des Sprachtests getan, urteilten die Richter. Auch wenn man vor allem Schein- und Zwangsehen verhindern wollte, schieße diese Regelung über das Ziel hinaus und berücksichtige nicht den konkreten Einzelfall. Wie bei der Klägerin, die zu ihrem Mann, der seit 1998 in Deutschland lebt und hier eine GmbH als Mehrheitsgesellschafter leitet, umziehen möchte. Sie ist Analphabetin und konnte den Test nicht erfolgreich absolvieren. Dadurch werde allerdings ihr Mann daran gehindert, in Deutschland ein geordnetes Familienleben zu führen. Also ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit.

Grundsätzlich bestreiten die Richter nicht, dass das Beherrschen der deutschen Sprache für die Integration notwendig ist. Allerdings ließen sie durchaus Zweifel an der Eignung dieser Sprachprüfung anklingen. Zwar umfasst der Test lediglich einige wenige Grundkenntnisse. Aber die Prüfung wird in vielen Ländern nur vom Goethe-Institut in der Hauptstadt abgenommen. "Da müssen viele erst einmal eine lange Reise antreten, eine Unterkunft suchen und in einigen Fällen sogar ihre Arbeit aufgeben", berichtet Hiltrud Stöcker-Zafari, Bundesgeschäftsführerin des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften. Im Übrigen sei es viel einfacher, eine solche Eingangsprüfung hier in Deutschland einzufordern. Das sieht auch Veronika Kabis, die Leiterin des Zuwanderungs- und Integrationsbüros (ZIB) in Saarbrücken, so: "Es geht nicht darum, dass die zugezogenen Ehepartner gar kein Deutsch lernen, sondern lediglich darum, ob sie es kurz vor oder nach der Einreise machen." In Saarbrücken gebe es ein gut funktionierendes System von Integration- und Sprachkursen, sodass Neuankömmlinge beim Erlernen der Sprache gut aufgehoben seien. "Von unseren Sprachlehrern hören wir, dass die allergrößte Mehrheit der Teilnehmer sehr willig ist, sich die Sprache anzueignen", so Kabis.

Das Veto der Luxemburger Richter begründet sich aber vor allem auf der pauschalen Wirkung, die das Zertifikat auf die Zuwanderungs-Formalitäten hat. Es sei nicht hinnehmbar, heißt es in dem EuGH-Spruch, dass die diplomatischen Vertretungen ohne genaue Sichtung des Einzelfalls allein vom Vorlegen der Test-Bescheinigung ein Ausstellen der Einreise-Erlaubnis abhängig machen. Das Urteil gilt ausschließlich für türkische Staatsangehörige, da vergleichbare Stillhalte-Vereinbarungen mit keinem anderen Drittstaat abgeschlossen wurden. Über das gestrige Urteil freut sich Ahmet Kadas. Vor allem für die rund 25 Familien , die im Saarland von ihm und seinen Awo-Kollegen betreuten werden und davon profitieren. Bitter finde er aber schon, dass ein Gerichtsurteil dafür notwendig war.

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HintergrundEnttäuscht auf das Urteil der Luxemburger Richter reagierte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU ). Sie bewertete die Entscheidung als einen "Rückschlag für die Integrationsbemühungen in Deutschland". Die Sprachkompetenz sei besonders wichtig für Frauen, die bei ihrer Ankunft in Deutschland ausschließlich in der Familie bleiben ohne Kontakte zu Deutschen. "Ziel des Sprachtests war es auch, Schein- oder Zwangsehen zu unterbinden und dadurch die Integration zu erleichtern. Diese Anliegen werden durch das heutige Urteil erheblich erschwert", sagte sie. red

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