Oh, wie war das schön!

Saarbrücken. Nur noch wenige Stunden sind es bis zum Anpfiff gegen den Hamburger SV an jenem 12. September 1964. Für den Bau- und Möbelschreiner Günter Schröder wird es das vierte Bundesligaspiel seiner Karriere. Die ersten drei hat er mit seinen Kameraden von Borussia Neunkirchen verloren. Der Aufsteiger ins Fußball-Oberhaus steht unter Druck, ein Sieg muss her

Saarbrücken. Nur noch wenige Stunden sind es bis zum Anpfiff gegen den Hamburger SV an jenem 12. September 1964. Für den Bau- und Möbelschreiner Günter Schröder wird es das vierte Bundesligaspiel seiner Karriere. Die ersten drei hat er mit seinen Kameraden von Borussia Neunkirchen verloren. Der Aufsteiger ins Fußball-Oberhaus steht unter Druck, ein Sieg muss her. Ausgerechnet gegen den HSV mit dem großen Star Uwe Seeler.Doch Schröder, ein eisenharter Verteidiger, hat an diesem Samstag noch andere Sorgen. Die zwei Stunden, die Borussen-Trainer Horst Buhtz seinen Spielern am Vormittag freigegeben hat, nutzt Schröder, der Bundesligaspieler, auf sehr spezielle Weise. Statt die Füße hochzulegen, fährt er nach Spiesen - zu seinem Rohbau. Das Dachgebälk muss dringend imprägniert werden, denn für Montag haben sich die Zimmerer angesagt. Zwei Stunden schuftet er zusammen mit einem Kumpel, dann ist die Arbeit erledigt. Dann kann er sich um den HSV kümmern. Und wie: Die Borussia gewinnt vor 25 000 Fans 3:1 - es ist der erste Bundesligasieg der Vereinsgeschichte. Am Ende schafft Neunkirchen den Klassenerhalt. Schröder spielt immer, verpasst auch im Jahr darauf kein einziges Bundesligaspiel.

Günter Schröder muss lachen, wenn er die Geschichte heute erzählt. Er wohnt noch immer unter dem Dach, an dem er damals heimlich gearbeitet hat. "Der Trainer hätte mich für verrückt erklärt, wenn er von meinem Plan gewusst hätte."

Tatsächlich ist es eine der vielen verrückten Anekdoten aus den Anfangsjahren der Bundesliga, die heute mit dem Spiel Dortmund gegen Bremen in ihre 50. Saison startet - zum 20. Mal in Folge ohne einen saarländischen Verein: Das Saarland hat den Anschluss verpasst an die nationale Fußball-Elite. Längst ist die Bundesliga zu einem Milliardengeschäft geworden, mit immer neuen Zuschauerrekorden, mit Millionengehältern. "Was wir früher verdient haben, haben die Spieler heute in der Portokasse", sagt Schröder. 800 bis 1200 Mark brutto pro Monat, dazu Prämien. Reich werden konnte da keiner. "Heute bekommt ein 19-jähriger Bub, der auf der Bank sitzt, schon Millionen. Das ist doch Wahnsinn", sagt Schröder.

Neid jedoch ist ihm fremd. "Was soll ich mich ärgern? Ich hatte eine schöne Zeit, wir haben so viel erlebt. Ich bin rundherum zufrieden." Sein Partykeller hängt voller Erinnerungen an die Glanzzeiten der Borussia, noch heute bekommt der 72-Jährige Fanpost. Und: Nach seiner Laufbahn wurde Schröder kurzfristig sogar zum Fernsehstar. An der Seite unter anderem von Kurt Schmidtchen spielte er 1972/1973 in der ARD-Vorabendserie "Fußballtrainer Wulff" mit. "Da haben wir sogar in Schweden gedreht." Und ein kleines Honorar gab es obendrauf.

Das große Geld gab es auch für Erich Rohe noch nicht zu verdienen. Er war 1963 dabei im Premierenjahr der Bundesliga, das der 1. FC Saarbrücken als Tabellenletzter abschloss. "Die Saison ging nicht gut los, wir haben gleich gegen den späteren Meister Köln gespielt und 0:2 verloren." Auch danach konnte der FCS kaum punkten, erst in der Rückrunde lief es besser, doch da war es schon zu spät. Dennoch: "Es war eine herrliche Zeit", sagt Rohe, der genau heute 75 wird. "Wir sind viel rumgekommen, nach Spanien, Kanada, in die USA." Er habe sich immer wohlgefühlt in Saarbrücken. "Klar hätte man auch damals schon woanders mehr verdienen können. Aber mehr Geld hätte nicht unbedingt mehr Zufriedenheit bedeutet." So blieb er, so wurde er zum Rekordspieler des FCS - mit 389 Pflichtspiel-Einsätzen. Zählt man die vielen Freundschaftsspiele der damaligen Zeit hinzu, stand er rund 800 Mal für die Blau-Schwarzen auf dem Platz. Nach 15 Jahren in der 1. Mannschaft gab's zum Abschied Blumen und einen warmen Händedruck des Präsidenten. Inzwischen ist er immerhin Ehrenmitglied.

Auch wenn er sich manches Mal "kriminell geärgert" hat über den Verein - heute geht er immer noch gern in den Ludwigspark. Ob er noch einmal Bundesliga sehen wird? Das alte Stadion sei ein großer Nachteil, auch fehlten Sponsoren. "Wo es kein Geld gibt, da gibt es heutzutage auch keine erstklassige Leistung mehr", sagt Rohe, der als Bundesligaspieler 500 Mark im Monat verdiente und bei Saartoto arbeitete: "Ich durfte eine halbe Stunde früher Feierabend machen, damit ich rechtzeitig zum Training kam. Da lacht man heute drüber."

Nicht zum Lachen findet Rohe die Kommerzialisierung des Fußballs. "Es ist zu viel Geld im Spiel. Wenn jemand unter Tage schuftet und in einem Jahr dafür so viel Geld bekommt wie mancher Fußballer in einer Woche, dann stimmt etwas nicht. Das kann nicht gut gehen auf Dauer."

Anders als etwa in Spanien oder England, wo etliche Vereine vor dem Ruin stehen, geht es in der Bundesliga bislang noch gut. Peter Neururer, der letzte Bundesliga-Trainer des FCS, hält die Liga heute sogar "für die mit Abstand beste der Welt". Dass der FCS dort nicht mehr mitspielen darf, nicht vom Boom der vergangenen Jahre profitieren konnte, hat für Neururer seine Ursache in der bittersüßen Saison 1992/93. Der FCS war als Aufsteiger gut unterwegs, hatte nach dem Spiel in Dresden am 25. Spieltag sechs Punkte Vorsprung auf die Abstiegsplätze. Alles sah gut aus. "Der Verein hatte eine super Entwicklung genommen", erinnert sich Neururer, "das ganze Saarland stand hinter uns." Dann aber kam ein Anruf eines Reporters, der von einem drohenden Lizenz-Entzug berichtete. Neururer und die Spieler Kristl, Wuttke, Kostner und Stefan Beckenbauer, die das Telefonat des Trainers mitgehört hatten, waren geschockt. Innerhalb von Minuten wurden sie aus allen Erstliga-Träumen gerissen. "Danach war uns allen klar: Wir können spielen, wie wir wollen, wir steigen ab."

Tatsächlich ging beim FCS plötzlich gar nichts mehr. 0:3, 0:6, 0:1, 0:3, 0:4, 0:2, 0:4, 1:4, 1:4 - eine historische Pleitenserie bedeutete den schmerzvollen Abschied aus der Bundesliga. Neururer redet sich heute noch in Rage, wenn er daran zurückdenkt: Von "Volldeppen" an der Vereinsspitze ist dann die Rede, die mit "Lug und Trug" den Untergang des FCS besiegelt hätten. "Die hatten von Fußball so viel Ahnung wie ich von Klavierkonzerten", schimpft Neururer, der überzeugt ist: "Wahrscheinlich hätte sich der FCS in der Bundesliga etabliert. Doch verschiedene Herren haben damals den Grundstein dafür gelegt, dass der Verein heute in der Dritten Liga spielen muss."

Immerhin: Ausgerechnet Uwe Freiler, Rekordspieler (66 Einsätze) und Rekordtorschütze (15) des FC Homburg in der Bundesliga, traut dem Erzrivalen Saarbrücken wieder den Sprung in die höchste Spielklasse zu. Auch wenn ein modernes Stadion nötig sei, um langfristig Erfolg haben zu können. Überhaupt die Stadien der Bundesliga. "Die Atmosphäre in diesen Super-Arenen hätte ich als Spieler gerne einmal erlebt", sagt der 46-Jährige, der sich gerne an die alten Zeiten erinnert. "Mit 17 Jahren in der Oberliga, dann Zweite Liga, dann 1986 der Aufstieg in die Bundesliga - es war wie in einem Traum."

Allein: Auch der FCH war zu früh dran. Bevor das große Geld ins Spiel kam, waren die Homburger wieder weg. "Wir waren unserer Zeit voraus", sagt Freiler mit Blick etwa auf Mainz, das seinerzeit in der Oberliga spielte, sich nun aber in der Bundesliga etabliert hat. Zu früh dran war der FCH auch in Sachen Trikotwerbung. Der Schriftzug eines Kondom-Herstellers ("London") löste einen Skandal aus. "Im heutigen Aids-Zeitalter würde darüber nicht mehr diskutiert werden. Der Sponsor jedenfalls hatte die beste Werbung, die man sich vorstellen kann." Daher legte "London" noch einige Tausender drauf - und bei einer Betriebsbesichtigung gab es für jeden Spieler eine 100er-Packung Verhüterli. Foto: SZ

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