Oettingers komödienhafter Abschied

Stuttgart. Auch diese Kabinettsitzung leitete der baden-württembergische Ministerpräsident mit gewohnter Akribie. Thema war der Innovationsrat - ein Beratergremium, das Günther Oettinger einführte. Es ist ein Abschiedstermin wie so viele in diesen Tagen. Am 24. Oktober 2009 schlug ihn Angela Merkel als deutschen EU-Kommissar vor

Stuttgart. Auch diese Kabinettsitzung leitete der baden-württembergische Ministerpräsident mit gewohnter Akribie. Thema war der Innovationsrat - ein Beratergremium, das Günther Oettinger einführte. Es ist ein Abschiedstermin wie so viele in diesen Tagen. Am 24. Oktober 2009 schlug ihn Angela Merkel als deutschen EU-Kommissar vor. Seither geschieht im Südwesten vieles im Lichte dieses Abschieds. Doch mehr als drei Monate danach gehen langsam die Themen aus, die der Ministerrat unter Oettingers Führung noch beraten könnte. "Wir schauen uns nur noch etwas komisch an", meint ein Mitglied der Runde. "Eine seltsame Stimmung."

Nicht für Oettinger. Für ihn gilt es, noch etwas wegzuschaffen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt wurde auf den letzten Drücker zum "Professor" ehrenhalber ernannt, der Präsident des Deutschen Weinbauverbandes, Norbert Weber aus Vogtsburg-Bischoffingen, bekommt das Bundesverdienstkreuz, und die überschuldeten Aulendorfer bekommen rettendes Geld - alles Termine, die Oettinger einmal als die "schönsten" bezeichnet hatte. Dort spüre man "Zustimmung und Dankbarkeit", was kaum anderes bedeuten konnte, als dass dies sonst zu kurz komme.

Oettinger könnte seine letzten Tage als Ministerpräsident also genießen - wenn da nicht die Störfeuer wären. Vergeblich drängten Emissäre des künftigen Regierungschefs Stefan Mappus - FDP-Freund Hans-Ulrich Rülke etwa oder der Bundestagsabgeordnete Gunther Krichbaum - Oettinger möge endlich den Hut nehmen. Einige der Kommissions-Kollegen in spe haben sich längst aus ihren nationalen Ämtern verabschiedet: die Dänin, die Schwedin, der Kandidat aus Malta und der aus Österreich. Nur Oettinger will - "aus Respekt vor dem EU-Parlament" - abwarten, bis er wirklich gewählt ist. Sicher ist sicher. Doch das Warten wird langsam ungemütlich.

Auf der unbarmherzigen Internet-Plattform "YouTube" stieg ein Filmchen zum Kult-Video auf, in dem Oettinger im Dezember vor einem Universitätsclub in Berlin eine Rede auf Englisch hält - in allerbester Comedy-Qualität. Kaum ein Wort ist zu verstehen. Oettinger verhaspelt sich selbst beim Ablesen einfachster Wörter. Eine schmachvolle Situation. "Ich bin in Englisch, was das Gespräch angeht, sehr sicher", hatte er von sich gesagt. Und Englisch werde die "Arbeitssprache" schlechthin. "Jeder, ob er Facharbeiter an der Werksmaschine oder ob er Geschäftsführer" ist, müsse "Englisch verstehen und sprechen können". All diese Aussagen werden dem künftigen EU-Funktionär nun genüsslich vorgehalten. "Schlimmer als Westerwelle", heißt es nun tausendfach in den Blogs. Oder: "Einfach nur peinlich." Mehr als 1,5 Millionen Aufrufe des Videos kratzen am Kompetenz-Image - nach einer Anhörung im EU-Parlament, die selbst von seinen Kritikern als "souverän" bewertet wurde. Aber er sprach ja auch deutsch.

Vor 20 Jahren schon riet Oettinger-Kumpel Matthias Wissmann auf einer USA-Reise dem damaligen CDU-Fraktionschef, er müsse "da was machen" mit seinem Englisch. Die Jahre vergingen. Nun bekommt Oettinger sein Fett ab. Und nimmt es vermeintlich gelassen. "Ich habe kein Problem damit." Wenn er erst in Brüssel sei, werde er die dortigen Gelegenheiten nutzen, englische Fachbegriffe zu lernen. Er ist sich sicher: "Die mediale Bedeutung entspricht nicht der objektiven." Selbst Parteifreunde diagnostizieren aber eine verrutschte Selbstwahrnehmung. Im "Off" lästern sie, auch Lübke habe schließlich kein Englisch gekonnt. Doch auch sie spüren Oettingers Merksatz "in my homeland Baden-Württemberg we are all sitting in one boat" ("Wir sitzen alle in einem Boot") am eigenen Leib. Es wird gefrotzelt, gelästert, gelacht. Die aus Heidenheim stammende EU-Abgeordnete Inge Grässle forderte bereits, das Video aus dem Netz zu nehmen. Die Nerven scheinen blank zu liegen.

Am 9. Februar wird Oettinger in Stuttgart seinen Hut nehmen, einen Tag vor dem "Schmotzigen Dunschtig", dem Hochtag der schwäbisch-alemannischen Fasnacht. Mappus erste Amtshandlung ist der "närrische Staatsempfang". Hohe Aufmerksamkeit für den Stabwechsel wird also kaum garantiert sein.

Hintergrund

Günther Oettinger bekennt sich zu seinem schwäbischen Dialekt. Man solle stolz sein, wenn man in einem Land lebe, in dem Alemannisch und Schwäbisch gesprochen werde, sagte Oettinger den "Stuttgarter Nachrichten". "Ich halte es deshalb auch nicht für verwerflich, dass der Dialekt zu hören ist, wenn ich Englisch spreche." Im direkten Gespräch habe er keine Probleme mit Englisch. ddp

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