Europas jüngster Regierungschef Österreichs Meister der Gratwanderung

Wien · Der Wiener Bundeskanzler Sebastian Kurz hat europaweit als Mann klarer Worte Furore gemacht. Er ist nah am Volk — zu nah?

Bloß keinen Fehltritt machen – und dabei doch Klartext reden. Sebastian Kurz ist ein Meister dieser Gratwanderung. Der Bergsteiger und Mountainbiker hat gerade in der Asylpolitik einen Ton getroffen, der nicht nur in Österreich, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit Gehör findet. „Wir sind dagegen, dass sich jemand das beste Sozialsystem aussuchen kann, in das er einwandern will“, sagte der 31-Jährige immer wieder – etwa in den Koalitionsgesprächen mit der rechten FPÖ. Die Suche nach einem besseren Leben sei noch kein Asylgrund, so Europas jüngster Regierungschef.

Der Chef der konservativen ÖVP bringt seine Ansichten mit ruhiger, fast kühler, aber bestimmter Art unters Volk – und ist nah am Volk. Zu nah, sagen seine Kritiker, die von ihm spätestens in seiner neuen Rolle als Regierungschef eine facettenreichere Behandlung des auch an Stammtischen beliebten Themas erwarten.

Die Last der Verantwortung ­perlt an dem 31-Jährigen äußerlich fast spurlos ab. Seit er im Mai 2017 nach parteiinternen Querelen die Führung der ÖVP übernahm, stieg auch der Erwartungsdruck. Kurz, damals noch Außenminister, sollte die weitgehend am Boden liegende Partei wieder aufmöbeln. Und er hat es mit einem Konzept geschafft, das in die Lehrbücher der Parteienforschung eingehen könnte: Weg mit den alten Partei-Granden, her mit den Quereinsteigern, weg mit dem alten Partei-Image, her mit dem Bild einer politischen Bewegung. Mit äußerster Zielstrebigkeit und dank bis dato ungekannter parteiinterner Macht richtete er die ÖVP auf, kündigte die Koalition mit der SPÖ und brachte den Schwung bis ins Ziel – bis ins Kanzleramt. Von dort aus will er zusammen mit der rechten FPÖ Österreich verändern. In seinem Jargon heißt das, „ganz nach vorne bringen“.

Kontrolle, Umsicht, Teamgeist – all das gehört zum Wirken und Wesen des ehemaligen Jura-Studenten, der sein Studium bisher nicht abgeschlossen hat. Zu aussichtsreich schien der Pfad in die Politik: Mit 24 Jahren wurde er Staatssekretär, mit 27 Jahren Außenminister. Immer war sich die Partei seines Ausnahmetalents bewusst. Kurz hört im Gegensatz zu anderen Politikern zu. Zumindest
vermittelt er den Eindruck. Viele  sehen ihn in einer Reihe mit Politiker-Typen wie Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron oder dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau. Typen, die bei Wählern Hoffnung wecken können.

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