Oben ohne vor dem Kardinal

Köln · Wird sie schuldig gesprochen, drohen ihr bis zu drei Jahre Haft. Weil Josephine Witt fast nackt im Kölner Dom protestierte, muss sie jetzt vor Gericht. Die Frauenbewegung Femen zieht Vergleiche zum Prozess gegen Pussy Riot.

Man sollte meinen, dass Joachim Meisner einen gehörigen Schreck bekam, als ihm am ersten Weihnachtstag im Kölner Dom eine barbusige Frau auf den Altar sprang. Aber der Kardinal nahm es gelassen. "Wissen Sie", sagt er jetzt, fast ein Jahr später. "Ich bin 80 Jahre alt. Ich habe so viel erlebt: erst die Nazizeit, dann die ganze kommunistische Zeit - da kann mich sowas doch nicht schrecken." Gleichwohl steht die Femen-Aktivistin wegen der Protestaktion heute vor Gericht.

Beim Videoportal Youtube lässt sich die Szene nachverfolgen. Die Frau steht schreiend auf dem Altar, auf ihrem Oberkörper prangt in schwarzen Buchstaben die Parole "I am god" - ich bin Gott. Männer, darunter einige rot gekleidete Domwächter, zerren sie herunter und schleppen sie weg. Die Frau heißt Josephine Witt und bezeichnet sich als Femen-Aktivistin. Unmittelbar nach der Aktion sagte sie, sie habe damit gegen die katholische Kirche und deren Machtstrukturen protestieren wollen. "Gerade Köln gilt als Hochburg der Katholiken in Deutschland, und Meisner steht für eine sehr konservative Ausrichtung", sagte sie. Inzwischen ist Kardinal Meisner allerdings im Ruhestand - sein Nachfolger Rainer Woelki macht bisher vor allem durch Flüchtlingshilfe von sich reden.

Witt war im vergangenen Jahr auch an einer Aktion gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin beteiligt. Damals waren sie und ihre Mitstreiterinnen von Putins Leibwächtern gestoppt worden. Im Dom wurde Witt - obschon bereits überwältigt - von einem Gottesdienstbesucher geohrfeigt. Das Verfahren gegen ihn wurde gegen Zahlung von 500 Euro eingestellt. Witt hingegen muss sich wegen Störung der Religionsausübung vor dem Amtsgericht verantworten. Sollte sie für schuldig befunden werden, drohen ihr bis zu drei Jahre Gefängnis. Die Femen erinnern auf ihrer Webseite an den Protest von Pussy Riot in einer russisch-orthodoxen Kirche in Moskau. Als die Bandmitglieder dafür inhaftiert worden seien, hätten deutsche Bürger und Politiker dagegen scharf protestiert. Nun aber, bei einer Aktion im eigenen Land, würden harte Strafen gefordert.

Dompropst Norbert Feldhoff, der Hausherr im Kölner Dom , hält diesen Vergleich für "völlig überzogen". Die Justiz in Deutschland und in Russland könne man wohl kaum miteinander vergleichen. Dass die Aktion gerichtlich verfolgt wird, findet er richtig. "Es geht hier nicht nur um die katholische Kirche, es geht um die freie Religionsausübung ganz allgemein, es geht um ein friedliches Zusammenleben." Die nackte, schreiende Frau auf dem Altar habe auf Kinder und Jugendliche traumatisierend gewirkt. "Ein Messdiener hatte mehrere Wochen Angst zum Dienst zu kommen und wollte nur noch bei den Eltern schlafen", sagt Feldhoff.

Nach Medienberichten hatte Meisner die Ruhestörerin noch während der Weihnachtsmesse in seine Gebete mit eingeschlossen. Er selbst kann sich heute, fast ein Jahr später, nicht mehr daran erinnern, ob das wirklich so war. "Möglich ist es", sinniert er. "Sie hätte es auf jeden Fall nötig gehabt."

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