Obamas unerwarteter Ausweg

Washington · Der verbale Ausrutscher des US-Außenministers Kerry eröffnet einen Ausweg aus der Syrien-Krise. Ein Militärschlag scheint nach dem überraschenden Vorstoß zur Übergabe der Chemiewaffen an die Uno zunächst abgewendet.

Der US-Senat hat die Syrien-Resolution erst einmal auf Eis gelegt. Während der Präsident in einer Serie von Fernsehinterviews sich offen für eine diplomatische Lösung zeigte, verschob Senatsführer Harry Reid die für heute geplante Probe-Abstimmung bis auf Weiteres. Der Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner hat ebenfalls keine Eile, eine Entscheidung im Repräsentantenhaus zu suchen. Das Geschehen verlagerte sich gestern in den Weltsicherheitsrat, nachdem das Weiße Haus offiziell seine Unterstützung für Verhandlungen über eine UN-Chemiewaffen-Resolution erklärte.

Obama hatte sich am Morgen telefonisch mit dem französischen Präsidenten François Hollande und dem britischen Premierminister David Cameron abgestimmt. Frankreich wollte eine Resolution unter Kapitel sieben einbringen, die extrem ernste Konsequenzen vorsieht, falls Syrien die Bedingungen der Entwaffnung nicht erfüllt. Experten weisen auf erhebliche praktische Probleme hin, die mit der zeitnahen Zerstörung der Chemiewaffenbestände in einem Bürgerkriegsland einhergingen. Den USA sind nur 19 der vermuteten 42 Waffen-Lager bekannt.

Das politische Washington wartete mit Spannung auf die Rede des US-Präsidenten an die Nation, mit der er die Kontrolle über die Entwicklungen zurückgewinnen wollte. Diese war Obama am Montag vorübergehend entglitten. Eine unbedachte Antwort von Außenminister John Kerry auf eine Reporterfrage hatte die Dynamik der Syrien-Debatte innerhalb weniger Stunden fundamental verändert. Kerry hatte erklärt, das syrische Regime könne einen Militärschlag vermeiden, wenn es seine Chemiewaffen-Bestände unverzüglich an die internationale Gemeinschaft übergebe. Eine gute Idee, fanden die Russen, deren Außenminister Sergej Lawrow den Vorschlag überraschend aufgriff und unterstützte. Syrien erklärte kurz darauf seine Bereitschaft, die Waffenbestände zu übergeben, und kündigte gestern Abend an, der internationalen Chemiewaffen-Konvention beizutreten. Die Briten signalisierten Unterstützung für den Plan. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bot Hilfe bei der Umsetzung an.

Das Weiße Haus hechelte den Ereignissen hinterher. Über Stunden versuchten Sprecher den Ausrutscher Kerrys als "rhetorisch" herunterzuspielen. Dann dämmerte es den Strategen. Der russische Vorstoß eröffnete dem Präsidenten einen Ausweg aus einer verfahrenen Situation. Obama konnte bisher weder daheim noch international mit seiner Syrien-Politik überzeugen. In einer neuen Erhebung für das "Wall Street Journal" und NBC sprechen sich nur noch 33 P rozent der Amerikaner für die Annahme der Syrien-Resolution im Kongress aus. Eine Niederlage im Repräsentantenhaus schien unvermeidbar. Obama konnte nun die sechs Interviews mit den TV-Sendern nutzen, um die Führung zurückzugewinnen. Er verriet den Zuschauern, bereits am Rande des G20-Gipfels mit Wladimir Putin über eine Übergabe der Chemiewaffen gesprochen zu haben. Der Vorschlag sei "ein möglicher Durchbruch", den die USA genau prüfen wollten. Ob ein Militärschlag damit abgewendet sei, wollte ABC-Moderatorin Diane Sawyer wissen. "Absolut, wenn es tatsächlich dazu kommt."

Überraschend wurde derweil eine erst gestern Mittag geplante Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats kurzfristig wieder abgesagt. Die Bitte um ein Treffen sei zurückgezogen worden, sagte ein ein Sprecher der australischen UN-Vertretung. Hinter den Kulissen werde aber eifrig weiter zum Thema Syrien beraten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort