Obama als „Heiler der Nation“?

Dallas/Washington · Es war womöglich die schwierigste Ansprache seiner Amtszeit: Nach den Rachemorden an fünf Polizisten in Dallas hat US-Präsident Obama einen letzten Versuch gestartet, die Spannungen in seinem Land einzudämmen.

Seine Europareise hatte Barack Obama am Ende um einen Tag verkürzt - allerdings nur zögerlich. Viele haben sich gefragt: Warum fliegt der US-Präsident nicht sofort heim, wenn in Dallas fünf Polizisten als Rache für Polizeigewalt gegenüber Schwarzen ermordet werden? Obama zögerte wohl zunächst, weil er weiß, dass seine bisherigen Reden zum schwelenden Konflikt zwischen der afro-amerikanischen Minderheit im Land und der Ordnungsmacht keine Verbesserungen brachten. Deshalb war seine Ansprache in Dallas am gestrigen Abend bei der Trauerfeier für die toten Polizisten so etwas wie ein letzter Versuch, sechs Monate vor dem Ausscheiden aus dem Amt doch noch die Spaltungen im Land zu heilen.

Obama, vor dem auch Ex-Präsident George W. Bush ans Rednerpult getreten war, versuchte eine Gratwanderung. "Polizisten verdienen unseren Respekt und nicht unseren Zorn," brach er eine Lanze für die Beamten. Und: "Cops hören das Wort "danke" nicht oft - vor allem nicht von jenen, die sie am meisten brauchen." Das war ein klarer Hinweis darauf, dass Obama die zuletzt geäußerte heftige pauschale Kritik aus dem afro-amerikanischen Lager an der Polizei nicht teilt. Und deshalb erwähnte der Präsident auch: "Die Cops schützten in Dallas auch jene Demonstranten, die gegen sie gerichtete Parolen riefen." Obama betonte, die Rassen-Beziehungen im Land hätten sich während seiner Lebenszeit "dramatisch verbessert". Man sei "nicht so gespalten, wie es scheint." Aber es gebe immer noch Vorurteile, gegen die auch die Polizei nicht immun sei. Zu oft würden Schwarze angehalten oder erhielten das schärfere Urteil aufgrund ihrer Hautfarbe.

Wie sehr ihn die jüngsten in Handy-Videos dokumentierten Todesfälle in Minnesota und Louisiana persönlich berührt haben, zeigt die Tatsache, dass Obama auf dem Flug nach Dallas mit den Familien der beiden von der Polizei getöteten Afro-Amerikaner telefonierte. Ob es Obama gelingt, nun zum verbalen "Heiler der Nation" (CNN ) zu werden ist allerdings fraglich. Der US-Präsident räumte auf der Trauerfeier ein, schon viel zu oft nach solchen Tragödien Ansprachen gehalten zu haben, ohne dass es spürbare Verbesserungen gegeben habe - auch in Sachen Waffengesetze .

Ein eilig zusammengezimmertes Maßnahmenpaket soll jetzt als letzter Rettungsversuch dienen. Heute findet erstmals ein "Runder Tisch" im Weißen Haus statt, an dem Vertreter von Schwarzen, Polizisten , Bürgerrechtler und der Politik teilnehmen sollen. Obama will Leitlinien durchsetzen, die in Zukunft "beste und faire Polizeiarbeit" sicherstellen. Die soziale Situation von Schwarzen müsse verbessert, Kriminalitätsraten in den Großstadt-Ghettos gesenkt werden. Dazu zählt auch politischer Druck, den Mindestlohn im Land auf 15 Dollar heraufzusetzen - ein Vorschlag, dem nun auch Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton auf Drängen ihres parteiinternen Konkurrenten Bernie Sanders zugestimmt hat.

Meinung:

Worte ohne Wirkung

Von SZ-Korrespondent Frank Herrmann

Es mutet fast schon an wie ein Ritual, dem an praktischen Schritten nichts folgt. So treffsicher Barack Obama jedes Mal die passenden Worte findet, wenn irgendwo in Amerika ein Todesschütze ein Blutbad anrichtet, so groß muss seine Ohnmacht sein. Viele Afroamerikaner sehen in Polizisten mittlerweile Feinde. Viele Schwarze stecken fest in einem Armutsghetto, das auch ihren Kindern keine Perspektiven bietet. Abgeordnete trauen sich nicht, das Überfällige zu tun und strengere Waffengesetze zu beschließen. Kein Zweifel, Obama hat einmal mehr das Richtige gesagt. Nur leider sind es Worte, die ohne Echo verhallen.

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