Nur Sieger nach dem großen Duell

Bei der Union klopften sie gestern ihrer Kandidatin auf die Schulter, bei der SPD lobte man den Herausforderer. Alles wie erwartet.

Am Tag nach dem Duell zwischen Angela Merkel (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) verbreitete sich in Berlin allerdings noch eine andere Botschaft: Aus Sicht der Parteien ist das Rennen bis zur Bundestagswahl jetzt augenscheinlich offen wie nie.

Der Kampf um die Deutungshoheit hatte schon direkt nach dem Duell in Adlershof begonnen. Nicht nur, dass alle Parteien im Presse- und Gästebereich ihre Politpromis auf die Journalisten losließen, um Merkel oder Steinbrück zu bejubeln. Auch die Kanzlerin schaute zur späten Stunde noch rasch im Studio G vorbei. Ein Novum, das hatte Merkel bei den Duellen zuvor noch nie gemacht. Eine innige Umarmung mit Ursula von der Leyen, ein fester Händedruck von Wolfgang Schäuble, nach fünf Minuten war sie wieder verschwunden. Doch die Bilder, um die es Merkel ging, liefen von da an in jedem TV-Sender - so lässt sich eine Gewinnerin feiern, sollte der selbstbewusste Kurzauftritt zeigen. Steinbrück zog es indes zur Party seiner Partei nach Kreuzberg.

Das heitere Deuten des Duell-Ausgangs ging gestern Morgen dann gleich in die nächste Runde: Keine Morgensendung im Fernsehen oder im Radio, in der nicht einer von der Union oder der SPD von "Rückenwind" oder "Vorteilen für" sprach. Nach der Sitzung des Bundesvorstands seiner Partei frohlockte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erneut, Merkel sei "klarer Sieger". So sah es auch der Koalitionspartner FDP: Steinbrück habe gezeigt, "dass die SPD keine echte Alternative ist", stichelte Spitzenkandidat Rainer Brüderle. Gleichwohl mahnte Gröhe: "Die Bundestagswahl ist noch nicht gewonnen. Es wird ein sehr, sehr enges Rennen." Merkel habe aber einen wichtigen "Etappensieg" errungen.

Hinter den Kulissen soll die Stimmung freilich etwas gedämpfter gewesen sein - manch einer bei der Union hatte sich vom Auftritt der Kanzlerin mehr versprochen. Und noch einmal spannend dürfte jetzt die Debatte um die Einführung einer Maut werden. Die hatte CSU-Chef Horst Seehofer zur Bedingung für einen neuen Koalitionsvertrag gemacht, war im Duell aber von Merkel klar abgelehnt worden. Seehofer kündigte gestern an, weiter dafür kämpfen zu wollen.

Auch bei den Genossen im Willy-Brandt-Haus war man zufrieden. Dort lautete das Fazit des Schlagabtausches: Da geht noch was. Das Duell habe alle Lügen gestraft, "die behaupten, die Menschen interessierten sich nicht für Politik, oder alles sei entschieden", meinte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Sein Urteil stützte sich auf eine Umfrage von Infratest dimap für die ARD, wonach 49 Prozent den Herausforderer vorn sahen, aber nur 44 Prozent die Amtsinhaberin. Dass die Forschungsgruppe Wahlen, die dem ZDF demoskopisch zur Hand ging, zu einem umgekehrten Ergebnis kam - 40 Prozent für Merkel und 33 Prozent für Steinbrück - ließ der Obergenosse unerwähnt. "Das Rennen ist nach wie vor offen", bekräftigte Gabriel. Ein paar Kilometer weiter sang Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin eine ähnliche Melodie. Zugleich ging Trittin die Kanzlerin persönlich an. Merkel setze auf "Einschläferung" und damit auf eine "niedrige Wahlbeteiligung", so Trittin. Seine Empörung könnte vielleicht auch an den leicht bröckelnden Umfragewerten für die Grünen liegen. Auffällig ist, dass das gestern vom Parteivorstand verabschiedete "100-Tage-Programm" im Falle einer Regierungsübernahme die Bekämpfung der happigen Strompreise und die Energiewende in den Mittelpunkt rückt, anstatt die hart kritisierte Forderung nach Steuererhöhungen. Offenbar will man jetzt mit grüner Kernkompetenz wieder Boden gut machen.

Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Emnid, Klaus-Peter Schöppner, warnte freilich davor, die Bedeutung des Fernsehauftritts zu überschätzen. "Eine Wahlentscheidung ist nie etwas Eindimensionales. Man wählt doch nicht nur wegen eines Duells, sondern wegen einer Fülle von Faktoren", sagte er der Saarbrücker Zeitung. Sein Eindruck von dem Schlagabtausch: "Es war ein Unentscheiden, was aber in Relation zu den geringeren Erwartungen an den Herausforderer das bessere Ergebnis für Steinbrück ist."

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HintergrundInsgesamt 17,5 Millionen Fernsehzuschauer haben das TV-Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) verfolgt. Die höchste Quote erzielte das Erste, wo nach Senderangaben 10,1 Millionen Zuschauer zusahen (Marktanteil: 29,1 Prozent). Der Sender ProSieben, der den Moderator Stefan Raab abgestellt hatte, verwies darauf, dass insgesamt 1,8 Millionen Zuschauer unter 30 Jahren das Duell eingeschaltet hätten, 300 000 mehr als 2009. Damals hatten insgesamt nur 14,2 Millionen Zuschauer die TV-Debatte zwischen Merkel und Frank-Walter Steinmeier (SPD) verfolgt. 2005, als die Herausforderin Merkel gegen den damaligen Amtsinhaber Gerhard Schröder (SPD) antrat, hatten sich dagegen knapp 21 Millionen Menschen für das Duell interessiert. epd

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