Nun regiert der Anti-Sarkozy

Paris. Als François Hollande am Sonntagabend endlich vor seine entfesselten Anhänger trat zur ersten Rede als neu gewählter Präsident, schien er am Ende einer langen Bewährungsprobe: überwältigt und erschöpft. Tatsächlich aber steht er gerade erst am Anfang der eigentlichen Herausforderung. Jetzt beginnt die Arbeit. Die erste Etappe ist die Bildung einer Regierungsmannschaft

Paris. Als François Hollande am Sonntagabend endlich vor seine entfesselten Anhänger trat zur ersten Rede als neu gewählter Präsident, schien er am Ende einer langen Bewährungsprobe: überwältigt und erschöpft. Tatsächlich aber steht er gerade erst am Anfang der eigentlichen Herausforderung. Jetzt beginnt die Arbeit. Die erste Etappe ist die Bildung einer Regierungsmannschaft. Vor allem die Wahl des Premierministers gilt als richtungsweisendes Signal - genannt werden vor allem Parteichefin Martine Aubry und der Germanist und Hollande-Vertraute Jean-Marc Ayrault. Sarkozy hatte den Posten vor fünf Jahren noch im Wahlkampf François Fillon angetragen. Der bedächtige Fillon galt als gute Wahl, weil er das hitzige Temperament des Staatschefs ausgleichen konnte oder sollte: Viel Handlungsspielraum bekam er nämlich nie.Das Beispiel seines Vorgängers hat Hollande gezeigt, wie sehr erste Patzer eine ganze Amtszeit überschatten können. Hochmütig stufte Sarkozy nicht nur Fillon als reinen "Mitarbeiter" herab, sondern feierte am Wahlabend selbst im luxuriösen Restaurant Fouquet`s auf den Champs-Élysées mit Wirtschaftsbossen. Den Ruf, Präsident der Reichen zu sein, wurde er nie wieder los.

Hollande gibt in jeder Hinsicht den Anti-Sarkozy. Während sich sein Vorgänger das Gehalt um 170 Prozent erhöhte, hat der Sozialist angekündigt, seine Bezahlung und die der Regierungsmitglieder um 30 Prozent zu senken. Wie schon im Wahlkampf achtet er peinlich genau darauf, Fehler zu vermeiden. Er bleibt angreifbar - jetzt, da er beweisen muss, dass sein Sieg gegen Sarkozy mit 51,6 Prozent gerechtfertigt war und er tatsächlich von all denen unterschätzt wurde, für die ein François Hollande an der Spitze des französischen Staates früher undenkbar war. Vielen schien er lange zu normal für das höchste Staatsamt, bis er diese Normalität in einen Trumpf verwandelte, der ihn vom abgehobenen Sarkozy entfernte, aber den Bürgern näher brachte.

Seine Anhänger ziehen aber auch nostalgische Vergleiche mit dem Mai 1981, als mit einem anderen François, nämlich Mitterrand, erstmals seit Gründung der Fünften Republik ein Sozialist an die Macht kam und dort 14 Jahre lang blieb. Seither träumten die Linken nur davon, zuletzt vergeblich mit Hollandes Ex-Partnerin Ségolène Royal. Sein Parteifreund Michel Sapin, der als Finanzminister gehandelt wird, erklärte allerdings, dass die Stimmung heute eine andere sei als 1981: "Hollande muss sofort Entscheidungen treffen." Und diese werden nicht wie bei Mitterrand zunächst in sozialen Wohltaten bestehen, sollten sich aber mit den Wahlkampf-Versprechen decken. Hollande will die von Sarkozy beschlossene Mehrwertsteuer-Erhöhung rückgängig machen, teilweise auch die Rentenreform. Zudem plant er eine höhere Besteuerung der Reichen. Die Finanzmärkte werden bald signalisieren, wie hoch ihr Vertrauen in den Sozialisten ist. Heute werden die Wachstumsaussichten für das kommende Trimester veröffentlicht. Auch das internationale Programm fordert den Neuling heraus: Unmittelbar nach der Amtseinführung am 15. Mai dürfte Hollande zum Antrittsbesuch nach Berlin fliegen. Es folgen der G8- und der Nato-Gipfel, wo er erklären muss, dass er die französischen Truppen bereits bis Jahresende aus Afghanistan abziehen will.

Hintergrund

Das Département Moselle hat am Sonntag klar gegen den nationalen Trend gewählt. Dort bekam Nicolas Sarkozy 53,48 Prozent der Stimmen, François Hollande erhielt 46,52 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 78,12 Prozent. Auch im Département Meuse lag Sarkozy mit 53,8 Prozent klar vor Hollande (46,2 Prozent). Nur in Meurthe-et-Moselle siegte der Sozialist mit 53,06 Prozent der Stimmen. Auf ganz Lothringen bezogen lautet das Ergebnis: Sarkozy 51,1 Prozent, Hollande 48,9 Prozent.

Vor allem der Osten und der Süden der Moselle sind fest in Händen der Konservativen. Im Wahlkreis Saargemünd kam Sarkozy auf 60,5 Prozent, im Wahlkreis Sarrebourg sogar auf 63,39 Prozent. Darunter dürften viele Wähler gewesen sein, die im ersten Wahlgang noch für Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National gestimmt hatten. Le Pen hatte gerade im Département Moselle Rekordergebnisse erzielt. jöw

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