Nukleare Müllkippe lässt ein sterbendes Dorf in Spanien strahlen

Madrid. In dem kleinen spanischen Dorf Villar de Canas fiel die Silvesterparty dieses Mal besonders heftig aus: Die 500 Bewohner feierten, dass ihr Nest als Atomdorf ausgewählt wurde. Es erhielt von Spaniens neuer konservativer Regierung den Zuschlag für das erste nukleare Zwischenlager der Nation

 Bürgermeister José Maria Saiz (am Telefon) feiert mit Dorfbewohnern den Zuschlag für das Atomlager. Foto: Torralba/dpa

Bürgermeister José Maria Saiz (am Telefon) feiert mit Dorfbewohnern den Zuschlag für das Atomlager. Foto: Torralba/dpa

Madrid. In dem kleinen spanischen Dorf Villar de Canas fiel die Silvesterparty dieses Mal besonders heftig aus: Die 500 Bewohner feierten, dass ihr Nest als Atomdorf ausgewählt wurde. Es erhielt von Spaniens neuer konservativer Regierung den Zuschlag für das erste nukleare Zwischenlager der Nation. Dort sollen künftig die alten hoch radioaktiven Brennstäbe der acht spanischen Atomkraftwerke hinter dicken Stahlbetonwänden verstaut werden."Das ist wie ein Lottogewinn", sagt Bürgermeister José Maria Saiz, der in der Dorfkneipe als Held gefeiert wurde. Das Zwischenlager, hoffen die Bürger, werde ihrem Dorf eine neue Zukunft geben. Arbeitsplätze, Besucher, Investitionen und Subventionen - genau das, was ihr sterbendes Nest, rund anderthalb Autostunden östlich von Madrid, bitter nötig habe. In der Dorfschenke "La Mezquita" knallten die Korken, als die Entscheidung von Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy zum Jahreswechsel bekannt wurde.

Für rund 700 Millionen Euro soll auf den Äckern von Villar de Canas, das mehr schlecht als recht vom Mais- und Getreideanbau lebt, das riesige Atommüll-Zwischenlager gebaut werden. Bis zu 1000 Arbeitsplätze sollen entstehen. "Das ist die Rettung für unseren Ort", freut sich Saiz, der schon vor Jahren sein Nest für die nukleare Müllkippe angeboten hatte. "Wir waren bisher ein untergehendes Dorf." Etwa die Hälfte aller Häuser steht schon leer, weil die Menschen mangels Arbeit weggezogen sind. Außer "ein bisschen Landwirtschaft" gebe es nichts. An große Anti-Atom-Proteste, wie sie etwa in Deutschland normal sind, kann sich Saiz nicht erinnern. "Rund 80 Prozent der Bewohner stehen hinter mir." Zwar seien kurz nach der nuklearen Entscheidung "ein paar hundert" Demonstranten aufgetaucht. "Aber die kamen nicht aus unserem Dorf." Spaniens Umweltschutzverbände, die offenbar von dem Beschluss der frischgebackenen Regierung überrascht wurden, haben jedoch angekündigt, dass sie sich gegen diesen "umweltpolitischen Irrtum" mit aller Kraft stemmen werden.

Doch die Atommüll-Depots auf den spanischen Kraftwerksgeländen quellen über, bald gibt es dort keinen Platz mehr für alte Brennstäbe. Zudem ist Spanien verpflichtet, große Mengen von Nuklear-Abfall zurückzunehmen, der befristet nach Frankreich verschoben wurde. Diesen nuklearen Notstand soll für die nächsten 60 Jahre das Zwischenlager beenden, bis ein Endlager gefunden wird. Die acht Atomkraftwerke, die Spanien noch am Netz hat, wurden überwiegend in den 80er Jahren gebaut. Weitere Atomkraftwerke sind derzeit nicht geplant, die neue konservative Regierung hat sich aber hinsichtlich ihrer künftigen Atompolitik noch nicht festgelegt. Der Atomstrom trägt in Spanien zu rund einem Fünftel zur nationalen Elektrizitätsversorgung bei.

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