Atomstreit Nordkoreas hochexplosives Spiel

Seoul/Peking · Pjöngjang testet im Atomstreit die Grenzen aus. Die USA werden immer ungeduldiger, drohen mit einem Militärschlag. Der Konflikt spitzt sich zu.

Um 12.29 Uhr Ortszeit bebte die Erde im Nordosten von Nordkorea. Die Erschütterungen spürten die Menschen sogar in Südkorea und grenznahen Teilen Chinas. Das südkoreanische Militär war schnell mit der Einschätzung, dass es sich nicht um ein natürliches Beben, sondern um einen Atomtest handeln könnte. Mit dem sechsten und bisher größten Atomtest seit 2006 fordert Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un offen den amerikanischen Präsidenten Donald Trump heraus, er ist aber auch ein Affront für die direkten Nachbarn China und Russland. Nur Stunden vor Beginn des diesjährigen Gipfels der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), auf dem die Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin noch gestern in der Hafenstadt Xiamen über die Krise berieten, zündete der junge Machthaber die nächste Bombe. Er dreht damit weiter an der Eskalationsschraube in einem Konflikt, der sich seit Monaten gefährlich zuspitzt.

Experten schätzen, dass Kim im Streit um das Atomprogramm des Landes bereit ist, die Grenzen auszutesten. Die Position Pjöngjangs, das bereits strengen internationalen Sanktionen unterworfen ist, vehärtet sich demnach immer mehr. Südkorea wirft dem Nachbarn seit Jahren vor, eine „Brinkmanship“-Taktik zu verfolgen – eine Politik am Rande des Abgrunds. Doch ein Experte in Seoul ist sich sicher: „Die Luft (für Nordkorea) wird dünner.“

Eine im traditionellen Kostüm gekleidete Ansagerin verkündete gestern im nordkoreanischen Staatsfernsehen feierlich, dass Nordkorea jetzt eine Wasserstoffbombe für die Bestückung von neuen Interkontinentalraketen (ICBM) getestet habe. Das staatliche Atomwaffeninstitut sprach von einem „perfekten“ Test. Die Explosionskraft einer Wasserstoffbombe oder H-Bombe ist um ein Vielfaches größer als bei einer herkömmlichen Atombombe. Doch wie weit das Land tatsächlich von seinem Ziel entfernt ist, eine einsatzfähige Wasserstoffbombe zu entwickeln und einen Sprengkopf auf Raketen zu setzen, wird auch nach dem neuerlichen Test nicht klar. Eine Überprüfung der nordkoreanischen Angaben ist nicht möglich.

Der Direktor des russischen Instituts für Weltraumpolitik, Iwan Moissejew, schätzt, dass Pjöngjang noch gut fünf Jahre für den Bau einer einsatzfähigen Atombombe braucht. Nordkoreanische Ingenieure hätten die Technik zwar weiterentwickelt. „Aber Sprengköpfe und Raketen zu vereinen, ist keine einfache Aufgabe“, sagte er der Agentur Interfax. Innenpolitisch sei der jetzige Atomtest wahrscheinlich auch ein Manöver gewesen, „um von Versorgungsproblemen im Land abzulenken“, sagt der Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, Lars-Andre Richter. Nach außen mache Kim deutlich, dass er im Atomstreit nicht vor den USA einknicken wolle. „Nordkorea ist seit Jahrzehnten mental in einem Kriegsmodus.“

Zuletzt überzogen sich Trump und Kim gegenseitig mit kriegerischen Drohungen. Trump drohte „mit Feuer und Wut“, was angesichts der nuklearen Bewaffnung beider Länder für große Unruhe sorgte. Doch wie weit geht Trump jetzt?

Richter glaubt, dass sich auch Chinas Geduld mit Nordkorea nicht weiter strapazieren lasse. Peking ist seit langem unzufrieden mit dem Verhalten des früheren Verbündeten. Doch Chinas Reaktionen auf die seit langem größte Provokation wirkten merkwürdig zweideutig. Zwar verurteilte das Außenministerium den Atomtest „scharf“, doch Staatschef Xi Jinping erwähnte den Test vier Stunden danach auf einem Brics-Wirtschaftsforum mit keinem Wort. „Peking muss seine grundlegende Strategie gegenüber Nordkorea überdenken“, sagt der renommierte Professor Shi Yinhong von der Volksuniversität in Peking. China könnte Nordkorea jetzt den Ölhahn zudrehen, was es bisher vermieden hat, um nicht einen Kollaps des armen Landes auszulösen. Eine vorübergehende, teilweise oder langfristige Unterbrechung der lebenswichtigen Öllieferungen wäre denkbar.

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