Nicht so ahnungslos wie gedacht

Berlin · Als das Ausmaß der Überwachung durch amerikanische und britische Geheimdienste bekannt wurde, gaben sich deutsche Politiker entsetzt. Nun wird klar: Zumindest eine Ahnung hatte Deutschland wohl doch.

Der Hinweis von den Amerikanern kam, lange bevor die "Sauerland-Gruppe" unter diesem Namen bekannt wurde. Woher die Informationen stammten, sagten die Amerikaner nicht, erzählte vor wenigen Wochen Ulrich Weinbrenner, Ministerialrat im Innenministerium, einem Bundestagsausschuss. Das würde nie verraten, daher lohne keine Nachfrage. Dennoch war klar: Die Hinweise auf die Gruppe, die Terroranschläge plante, waren durch eine Überwachung des E-Mail-Verkehrs aufgedeckt worden. Das habe die Konkretheit der Hinweise gezeigt.

Mittlerweile ist öffentlich geworden, wie weitreichend ausländische Geheimdienste offenbar die Internet-Kommunikation belauschen. Und deutsche Sicherheitsbehörden arbeiteten offenbar enger als bisher bekannt mit dem US-Geheimdienst NSA zusammen. Die Amerikaner stellten den Deutschen Spezial-Programme zur Verfügung, mit denen der deutsche Bundesnachrichtendienst ausländische Telefonate nach arabischen Suchbegriffen durchforsten konnte, berichtet "Der Spiegel". Die USA betrieben ihren globalen Überwachungsapparat auch von Stützpunkten in Deutschland aus, schreibt das Magazin.

Gleichzeitig betonen die Spitzen der deutschen Politik und der Geheimdienste, von den weitreichenden Abhörmaßnahmen nichts gewusst zu haben. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erklärte ebenso wie Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, aus den Medien vom Ausspionieren deutscher Stellen und der Kommunikation deutscher Bürger erfahren zu haben. Doch inzwischen stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung nicht zumindest Hinweise auf die Programme hatte - und ob sie nachdrücklich genug nachforschte, was es damit auf sich hatte.

Mehrere ehemalige Verfassungsschützer und Geheimdienstaufseher erwecken den Eindruck, dass die Regierung besser im Bilde war, als sie zugibt. Der frühere österreichische Verfassungsschutz-Chef Gert René Polli sagte der "Franfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", ihm sei das Programm "Prism" der NSA unter anderem Namen bekannt gewesen. Darum sei es "widersinnig und unnatürlich", wenn die Deutschen nichts davon gewusst hätten.

Der zivile Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der die Enthüllungen ins Rollen brachte, geht noch weiter. Die NSA-Leute "stecken unter einer Decke mit den Deutschen, genau wie mit den meisten anderen westlichen Staaten", schrieb Snowden in einem per verschlüsselter E-Mail geführten Interview, das der "Spiegel" jetzt abdruckte.

Die Zusammenarbeit hat offenbar Tradition. Claus Arndt, der jahrelang für die SPD in dem Parlaments-Gremium saß, das die Geheimdienste kontrolliert, sagte dem "Spiegel", es gebe jahrzehntealte Verträge zur Zusammenarbeit von BND und US-Diensten. Früher seien LKW-Ladungen voller Tonbandaufnahmen von Telefonaten zur BND-Zentrale nach Pullach gebracht worden und von dort an die US-Dienste weitergereicht wurden. Inzwischen läuft ein Großteil der Kommunikation digital, über E-Mails, Facebook und Video-Telefonie. Dementsprechend haben auch die Geheimdienste ihre Spionage auf die digitale Welt ausgeweitet.

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