Neue Hoffnung für Single-Väter"Für Kinder zählt nicht, wer das Sorgerecht hat, sondern wer sich um sie sorgt"

Brüssel. Das Urteil ist wie ein Weihnachtsgeschenk für jene unverheirateten Väter, die sich um ihr Kind auch wirklich kümmern wollen und denen eine monatliche Unterhaltszahlung nicht reicht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat gestern das deutsche Sorgerecht an den Pranger gestellt und Korrekturen vom Gesetzgeber verlangt

Brüssel. Das Urteil ist wie ein Weihnachtsgeschenk für jene unverheirateten Väter, die sich um ihr Kind auch wirklich kümmern wollen und denen eine monatliche Unterhaltszahlung nicht reicht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat gestern das deutsche Sorgerecht an den Pranger gestellt und Korrekturen vom Gesetzgeber verlangt. Es diskriminiere nämlich jene, die die elterliche Sorge zusammen mit der Mutter ausüben wollen. "Das ist ein guter Tag für Väter", kommentierte der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn. Bundesjustizminister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte, die Richter hätten einen Einzelfall geprüft. In einer Studie bis Ende 2010 werde nun untersucht, warum die Mütter bei nicht verheirateten Paaren mit ihrem Sorgerecht alleine blieben.

Gemeinsam entscheiden

Der 45-jährige deutsche Musiker Horst Zaunegger hatte geklagt, weil er nach der Trennung von seiner damaligen Lebensgefährtin und Mutter des Kindes das elterliche Sorgerecht nicht mehr ausüben durfte. Anders als viele andere Männer wollte der Kläger aber nicht nur zahlen, sondern auch gemeinsam entscheiden, welche Schule seine Tochter besucht, welcher Arzt sie behandelt und wo sie lebt. Doch das deutsche Sorgerecht (das Umgangsrecht ist durch den Fall nicht berührt) benachteiligt nach dem einschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2003 Väter wie Zaunegger. Während Männer, die mit der Mutter des gemeinsamen Kindes auch nach einer Scheidung das Sorgerecht zusammen ausüben können, verwehrte Karlsruhe dies jenen Vätern, die nicht geheiratet hatten. Der Grund: "Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden, ist es gerechtfertigt, das Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich grundsätzlich der Mutter zuzuordnen."

Schon damals beauftragten die Richter aber die Bundesregierung, Lösungsmodelle für ein gemeinsames Sorgerecht zu finden. In Berlin ließ man die Sache einfach liegen und sieht sich jetzt einer schallenden Ohrfeige ausgesetzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, eine Einrichtung des Europarates und nicht der EU, entschied gestern: Die deutsche Situation stellt nicht nur einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot im Artikel 14 der Menschenrechtskonvention dar, sondern sie höhlt auch das Recht auf Achtung des Familienlebens in Artikel 8 aus. Mehrfach betonen die Richter in der Urteilsbegründung, dass die Konstellation von Vater, Mutter und Kind allein aus der Sicht des betroffenen Mädchens oder Jungen gesehen werden müsse. "Entscheidend ist, was dem Wohl des Kindes dient." Darüber hatten sich im Fall Zaunegger deutsche Gerichte und beteiligte Jugendämter schlicht hinweggesetzt.

Die Bundesregierung kommt nun um eine Korrektur des Gesetzes nicht mehr herum, Artikel 46 der Menschenrechtskonvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, die Entscheidungen des Gerichtshofes zu "befolgen". Dabei geht es keineswegs nur darum, die Rechte der Väter zu verbessern, die um das Sorgerecht für ihre Kinder kämpfen, sondern auch um die weitaus größere Zahl derer, die sich gar nicht um ihre Söhne oder Töchter kümmern wollen. In Straßburg hieß es gestern, dass der Gesetzgeber sogar diejenigen bei einer Neufassung des Sorgerechtes zwingen könne, sich mehr ihrem Nachwuchs zu widmen. "Die Tatsache, dass das heutige Recht die unverheiratete Mutter sozusagen automatisch zum Alleinerben der elterliche Sorge macht, nutzen nämlich viele Väter aus, um sich einfach aus aller Verantwortung zu verabschieden", sagte ein Mitarbeiter des Hofes. Auch das müsse durch eine Reform abgestellt werden. Herr Pabst, wie bewerten Sie das Urteil?

Jürgen Pabst: Grundsätzlich begrüßen wir die Entscheidung, weil sie Eltern ehelicher Kinder und Eltern nichtehelicher Kinder gleichstellt.

Wie passt das Urteil zu der Forderung Ihres Verbandes, dass es ein gemeinsames Sorgerecht nur geben soll, wenn beide Eltern dies wünschen?

Pabst: Das ist kein Widerspruch zu der Entscheidung. Es ist doch Realität, dass ein großer Teil der getrennt lebenden Elternteile, bei denen die Kinder nicht leben, sich für ihre Kinder nicht mehr interessiert. Für Kinder zählt nicht, wer das Sorgerecht hat, sondern wer sich um sie sorgt. Das zu ermöglichen, wird auch ein gemeinsames Sorgerecht nicht können. Für manche Kinder kann die alleinige Sorge manchmal die bessere Alternative sein.

Warum gibt es die Bevorzugung der Mütter hierzulande überhaupt noch?

Pabst: Weil die Politik sich sehr schwer damit tut, eine andere Familienform als das klassische Bild Mann, Frau, Kinder zuzulassen. In diesem Bild ist immer noch (leider) hauptsächlich nur die Mutter für die Belange der Kinder zuständig.

Welche Auswirkungen erwarten Sie nach dem Urteil?

Pabst: Ich glaube nicht, dass es sehr große Auswirkungen zum Wohle der Kinder geben wird. Auch mit einem Urteil, das eine gemeinsame Sorge auferlegen würde, kann niemand dazu bewegt werden, wenn er sich nicht sorgen will.

Haben Sie eine Ahnung, wie viele Väter im Saarland von dem Urteil betroffen sein könnten?

Pabst: Offizielle Statistiken gibt es meines Wissens nicht. Es ist aber schon öfter vorgekommen, dass ein Vater bei uns um Hilfe gebeten hat. Uns war es bei unseren Ratschlägen immer wichtig, dass das Wohl des Kindes im Vordergrund steht.

Meinung

Passend zur neuen Vater-Rolle

Von SZ-Korrespondent

Hagen Strauß

Das gestrige Urteil des europäischen Gerichtshofes ist ein Schritt in Richtung mehr Gleichberechtigung. Und zwar der Männer! Eigentlich war es nie einleuchtend, warum nach der Trennung eines unverheirateten Paares der Vater keine Rechte mehr mit Blick auf sein Kind haben sollte, dafür aber jede Menge Pflichten. Für das Kindeswohl sind Mutter und Vater gleich wichtig. Gerade das deutsche Sorgerecht hat aber diesen Grundsatz schlichtweg ignoriert und den Umstand unbeachtet gelassen, dass immer mehr Paare ohne Trauschein mit Kindern zusammenleben. Überdies: Seit Jahren propagiert die Politik die neue Rolle des Vaters in der Familie. Sie forciert dies sogar mit Maßnahmen wie Vätermonaten beim Elterngeld. Offenkundig mit Erfolg, wie Studien belegen: Das Verständnis von Familie und Vatersein hat sich bei vielen Männern deutlich verändert. Genau dem muss jetzt auch das deutsche Recht endlich gerechter werden.

Hintergrund

Im Saarland leben nach Angaben des Statistischen Landesamts fast 53 000 Kinder bei rund 39 000 alleinerziehenden Müttern und Vätern, wobei alleinerziehende Mütter (34 300) in der deutlichen Mehrzahl sind. Die Zahl der Alleinerziehender insgesamt ist seit 2005 um etwa 2000 Personen gestiegen. Bei verheirateten Eltern lebten Ende 2008 rund 186 000 Kinder, weitere 10 000 in Lebensgemeinschaften. 2007 lag der Anteil der nichtehelichen Geburten bei 27 Prozent gegenüber 17 Prozent in 1997. tho

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