Neue Hoffnung für Nahost

Washington · Erstmals seit drei Jahren sprechen Israelis und Palästinenser wieder direkt miteinander. Die Erwartungen sind nicht allzu hoch, die Angst vor einem möglichen Scheitern groß. Zu weit liegen die Positionen auseinander.

Diskretion heißt das Schlüsselwort, das die Wiederaufnahme der Nahost-Friedensgespräche in Washington derzeit umgibt. Nicht ein einziges Interview gaben die Beteiligten im Vorfeld. Das State Department teilte nicht einmal mit, an welchem Ort sich Palästinenser und Israelis an den Verhandlungstisch setzen wollten. US-Außenminister John Kerry, der Mann, der die Gespräche durch seine monatelange Pendeldiplomatie überhaupt erst möglich gemacht hatte, gab schon im Vorfeld die Parole aus: Jedes öffentlich gesprochene Wort kann zu viel sein. Schweigen ist Gold.

Kein Zweifel: Niemand will zu hohe Erwartungen wecken. Zu groß ist die Angst vor einem Scheitern. Seit Jahrzehnten ist jede Nahost-Initiative letztlich im Sande verlaufen. Für Kernprobleme wie die Zukunft Jerusalems, das Schicksal palästinensischer Flüchtlinge sowie die Grenzen eines Palästinenserstaates sehen selbst kühnste Träumer derzeit keine Lösung. Zudem sind die Palästinenser gespalten, die in Gaza regierende radikal-islamische Hamas-Organisation ist bei den Gesprächen gar nicht dabei. Und zu allem Überfluss brennt es derzeit rund um Israel lichterloh. Machen da Gespräche einen Sinn?

"Es gib sehr gute Gründe, um zu bezweifeln, dass ein wiederbelebter Friedensprozess eine Zwei-Staaten-Lösung bringen wird oder überhaupt viel Fortschritt", meint die Zeitschrift "Foreign Policy". Zwar heißt es, Kerry habe den Palästinensern zugesichert, dass die Verhandlungen auf Basis der Grenzen von 1967 geführt werden. Doch in Washington erinnert man sich noch lebhaft an das Treffen des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu mit Präsident Barack Obama im Mai 2011, als dieser erstmal öffentlich die Grenzen von 1967 ins Spiel brachte. Netanjahus Gesichtszüge versteinerten sich, er konnte seine Emotionen kaum zügeln. Der Besuch endete im Debakel. "Viele im israelischen Kabinett scheinen Annexion von Palästinensergebieten einer Zwei-Staaten-Lösung vorzuziehen", meint denn auch "Foreign Policy" skeptisch.

Und dennoch: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Entgegen allen Unkenrufen hatte Kerry im Frühjahr seinen Druck auf Palästinenser und Israelis erhöht. Seine Botschaft ist simpel: Weiteres Zögern und Zaudern in Sachen Nahost-Frieden kann die Lage nur noch verschlimmern, ist Wasser auf die Mühlen der Radikalen - sei es im Lager der Palästinenser, sei es im Iran. Experten befürchten, wenn der Friedensprozess nicht nachhaltig belebt wird, läuft die Zeit für eine Zwei-Staaten-Lösung schlichtweg ab - und zwar auf beiden Seiten. Zu lange wurden die Hoffnungen auf einen unabhängigen palästinensischen Staat immer wieder enttäuscht. Genau dies sind auch die Gründe, warum ein Scheitern der Gespräche so gefährlich wäre. "Jeder Zusammenbruch der Gespräche", warnt die Zeitung "Wall Street Journal", "würde das Risiko mit sich bringen, palästinensische Militanz wieder zu entzünden und für Iran und Syrien die Tür öffnen, sich im israelisch-arabischen Konflikt direkter engagieren." Kurz: Das Feuer, das in Syrien brennt, könnte auch nach Israel und Palästina überspringen - ein Albtraum für alle, die noch an Frieden glauben.

Zum Auftakt wollten sich die Unterhändler gestern zu einem Arbeits-Abendessen im amerikanischen Außenministerium einfinden. Die palästinensische Delegation wird von Saeb Erekat und Mohammed Shatayyeh angeführt. Für die Israelis verhandeln Justizministerin Zipi Livni und Isaac Molho, ein enger Vertrauter Netanjahus.

Der israelische Likud-Ministerpräsident setzte gegen Widerstand in den eigenen Reihen die unpopuläre Freilassung von 104 palästinensischen Gefangenen durch, die für ihre Rolle in Terroranschlägen zum Teil zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden waren. Die Palästinenser begrüßten das Versprechen, die Männer auf freien Fuß zu setzen. Gleichzeitig signalisierten sie Bereitschaft, das Existenzrecht Israels als jüdischer Staat anzuerkennen. Ein Kompromiss zwischen Israelis und Palästinensern scheiterte bislang immer an den Haupthindernissen:

Grenzen: Nach dem Willen der Palästinenser soll ihr Staat die 1967 von Israel besetzten Gebiete Westjordanland, Gazastreifen und Ost-Jerusalem umfassen. Israel will seine großen Siedlungsblöcke im Westjordanland behalten, ebenso aus Sicherheitsgründen eine Militärpräsenz im Jordantal an der Grenze zu Jordanien.

Jerusalem: Jerusalem gilt den Muslimen als drittheiligste Stätte. Israel beharrt jedoch darauf, dass Jerusalem seine "ewige und unteilbare" Hauptstadt sei. Dagegen beanspruchen die Palästinenser den von Israel annektierten Ostteil als Hauptstadt ihres künftigen Staates. Dort liegt aber die Klagemauer, der heiligste Ort für Juden.

Siedler: Inmitten von etwa 3,1 Millionen Palästinensern leben Schätzungen zufolge schon mehr als 600 000 israelische Siedler im Westjordanland und in Ost-Jerusalem. Die übergroße Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft kritisiert Israels Siedlungsbau als völkerrechtswidrig.

Bei Selbstmordanschlägen sind in den vergangenen Jahrzehnten viele Israelis getötet worden. Aber auch jüdische Siedler im Westjordanland wurden mehrfach Opfer von Mordanschlägen. Die Hamas schoss aus dem Gazastreifen Raketen auf israelische Grenzstädte. Israel betont, es werde keinen Palästinenserstaat geben, solange seine Sicherheit nicht garantiert sei.

Flüchtlinge: Als Folge der Kriege 1948/49 und 1967 gibt es nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes in den Palästinensergebieten sowie in Israels Nachbarländern etwa 5,3 Millionen registrierte Palästinenser, unter ihnen 4,9 Millionen Flüchtlinge und deren Nachkommen. Die Palästinenser beharren offiziell auf ihrem "Rückkehrrecht" nach Israel, was die Juden dort zur Minderheit machen würde. Israel lehnt dies daher entschieden ab.

Wasser: Seit Jahrzehnten wird vor einem drohenden Nahost-Krieg um Wasserquellen gewarnt. Wegen des Bevölkerungswachstums und der oft rücksichtslosen Ausbeutung der Ressourcen werden die Süßwasservorräte immer knapper. Amnesty International wirft Israel vor, Palästinenser bei der Nutzung gemeinsamer Ressourcen zu benachteiligen, was die Regierung zurückweist. Die Kontrolle des Wassers ist auch ein Streitpunkt im Ringen um die künftige israelisch-syrische Grenze auf dem Golan. Einen großen Anteil daran, dass sich Vertreter der beiden Konfliktparteien nach Jahren wieder an den Verhandlungstisch setzen, hat US-Außenminister John Kerry. Zum Abschluss seiner sechsten Vermittlungsreise binnen fünf Monaten konnte er vergangene Woche den Durchbruch verkünden. John Kerry wurde am 11. Dezember 1943 in Aurora (Colorado) geboren. Seit Februar ist der Demokrat 68. Außenminister der Vereinigten Staaten. Zuvor saß er für Massachusetts (seit 1985) im Senat der Vereinigten Staaten und war seit 2009 Vorsitzender im Ausschuss für Außenpolitik. 2004 war er Kandidat der Demokraten bei den US-Präsidentschaftswahlen, unterlag aber dem damaligen Amtsinhaber George W. Bush.

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