May bittet um neue Frist Wann kommt er denn nun, der Brexit?
Brüssel/London · Premier May will jetzt doch Zeit bis 30. Juni, EU-Ratspräsident Tusk ist gleich für ein Jahr. Der Austritt der Briten bleibt kompliziert.
Der jüngste Brief aus London an die EU fiel ungewöhnlich aus. Schließlich ließ Premierministerin Theresa May erstmals so etwas wie Emotionen durchblicken. Es sei „frustrierend“, dass der Prozess noch nicht zu „einem erfolgreichen und geordneten Abschluss“ gekommen sei, schrieb die britische Regierungschefin. Und dann bat sie die 27 Staats- und Regierungschefs der Union um eine Verlängerung der Brexit-Frist bis spätestens 30. Juni. Es ist schon der zweite Brief; zuletzt hatte May im März um Verschiebung gebeten, damals bekam sie eine Verlängerung bis zum 12. April – kommenden Freitag, mit weiterer Option bis 22. Mai. Jetzt also noch mehr Zeit. Allerdings, so schrieb May diesmal, wolle sie sich bemühen, deutlich vor dem 30. Juni auszutreten – und zwar möglichst noch vor dem Auftakt zu den Europawahlen am 23. Mai. Ungeachtet dessen bereite ihre Regierung aber alles vor, um an den Abstimmungen zum EU-Parlament teilzunehmen, sollte es bis dahin nicht zu einer Einigung gekommen sein. So fasste EU-Ratspräsident Donald Tusk am Freitag das Schreiben aus der britischen Hauptstadt zusammen. Dabei hatte er selbst vorher angeregt, dem Vereinigten Königreich sogar bis zu einem Jahr mehr Zeit zu geben, um sich auf einen Königsweg zu verständigen. Demnach müsste Großbritannien an der Wahl teilnehmen – was May ja eigentlich verhindern will. Wann kommt er denn nun, der Brexit?
Nach wie vor ist alles offen. Wenige Tage vor dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am kommenden Mittwoch in Brüssel stellt sich die Lage so dar: Briten und Europäer wollen einen ungeregelten Brexit ohne Abkommen vermeiden. Bereits am Freitag kamen deshalb die EU-Botschafter der 27 Mitgliedstaaten zusammen, um auszuloten, unter welchen Umständen die Gemeinschaft bereit sein könnte, Großbritannien (noch) mehr Zeit zu geben. Denn der vorliegende Austrittsvertrag war drei Mal im britischen Unterhaus krachend durchgefallen. Die Stimmung in der EU ist allerdings angespannt, weil nicht wenige Regierungen sich von London „vorgeführt fühlen“, wie es ein hoher EU-Diplomat ausdrückte. Wenn die Staats- und Regierungschefs am Mittwoch zusammenkommen, wollen sie deshalb von May vor allem hören, warum ein weiteres Verschieben des Brexits die Chancen auf eine Einigung verbessern würde. Die Premierministerin steht dabei unter Druck: Wenn sie nicht alle Regierungschefs (Einstimmigkeit ist nötig) überzeugen kann, droht am Freitag kommender Woche ein Brexit ohne Deal.
May will aber offenbar in den Wochen bis Ende Juni alles versuchen, um doch noch eine Einigung in den Gesprächen mit Labour-Chef und Oppositionsführer Jeremy Corbyn hinzukriegen. In Brüssel versprechen sich davon viele eine weichere Brexit-Variante – beispielsweise den Verbleib der Insel in einer Zollunion mit der europäischen Gemeinschaft. Der Weg hätte vor allem einen Vorteil: Das Problem der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und Irland hätte man gelöst. Der von den Brexiteers so gehasste Backstop (das zeitweise Verbleiben in einer Zollunion bis zu einer Lösung) wäre vom Tisch.
Diese Variante klingt für die EU-Staatenlenker verlockend, zumal Theresa May sie mit der Ankündigung würzen möchte, dass London zwar bereits die Europawahlen vorbereitet, aber gerne früher eine Brexit-Einigung erreichen will. Damit, so hieß es am Freitag in Brüssel, wäre „dann allen gedient“. Einziges Hindernis: May braucht auch in diesem Fall irgendwann eine Mehrheit im Unterhaus – für welche Form von Brexit auch immer. Und die gibt es bislang nicht.
„Ich halte eine bessere Lösung als einen Exit ohne Deal für vergleichbar wahrscheinlich wie die schlechteste Lösung: einen Exit ohne Deal“, erklärte am Freitag EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger. Und dabei malte er schon mal aus, was ein Ausstieg des Vereinigten Königreiches ohne Vertrag die Union und Deutschland kosten würde. Denn bereits in diesem Jahr müsste die EU dann mit Mindereinnahmen zwischen vier und fünf Milliarden Euro rechnen, so dass sich der Beitrag für den deutschen Steuerzahler um „weniger als eine halbe Milliarde Euro“ erhöhen würde.