Nacktfotos werden zur Einstiegsdroge

Ralph (38) ist Regisseur und steht auf kleine Mädchen. Als er eines Tages im Internet ein Mädchen bittet, ihm Fotos von sich zu schicken, wird ihm klar, dass er Hilfe braucht.

"Das war der Auslöser, wo ich gemerkt hab, jetzt ist Schluss, das geht so nicht weiter", gibt er zu Protokoll. "Ich hab ja auch verdrängt, dass mit den Fotos Kinder missbraucht werden. In der Therapie lerne ich, mir diesen Teufelskreis bewusst zu machen." Wie andere betroffene Männer berichtet er auf der Internetseite des Präventionsnetzwerks "Kein Täter werden" von seinen Gedanken und Erfahrungen mit einer Therapie, die vor allem ein Ziel hat: den sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern.

Etwa ein Prozent der männlichen Bevölkerung ist pädophil veranlagt. Eine Heilung ist nach heutigem Forschungsstand nicht möglich. Die meisten halten ihre Präferenz geheim, oft mit Selbstekel und Depressionen, erklärt Professor Harald Dressing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. An diese Menschen wendet sich das Programm, das die Berliner Charité und sieben weitere Einrichtungen von Kiel bis Regensburg anbieten. Rund 3300 Hilfesuchende haben sich seit 2005 dort gemeldet, etwa ein Viertel erhielt Therapieangebote. Es geht darum, Strategien zu lernen, um Fantasien nicht in Taten umzusetzen. Der Lehrer Sven (45) musste zum Beispiel im Rollenspiel den Part einer belästigten Schülerin übernehmen. Die Erfahrung war für ihn nicht nur neu, sondern vor allem verstörend: "Endlich verstand ich die Hilflosigkeit, die Scham, die Ängste und das Gefühl, ausgenutzt zu werden", beschreibt er auf der Webseite des Präventionsnetzwerks.

Doch nicht Pädophile sind für das Gros der pädosexuellen Übergriffe verantwortlich, sondern Menschen, die sich aus anderen Gründen an Kindern vergehen. Die Psychologin Anna Beckers von der Behandlungsinitiative Opferschutz in Karlsruhe schätzt das Verhältnis auf etwa eins zu fünf. Deshalb werden hier nicht nur Pädophile, sondern auch andere Männer therapiert, die fürchten, eine Sexualstraftat zu begehen. Mangelndes Selbstbewusstsein, schwierige soziale und Partner-Beziehungen, Machtfantasien seien oft Ursachen des Missbrauchs. Beckers stellte auch fest, dass es vielen Männern an Empathiefähigkeit mangelt: "Wir haben Tatgeneigte, die im Internet den Drang haben, nach kinderpornografischem Material zu suchen." Viele dieser Männer würden sich über die Entstehungsumstände der Bilder aber keine Gedanken machen. Scheinbar natürliche Nacktfotos von Kindern können nach Ansicht der Experten hierfür eine Art Einstiegsdroge sein.

Ein bis zwei Jahre dauert eine Therapie, erklärt Jens Wagner, Sprecher von "Kein Täter werden". Und trotz guter Erfolgsquoten ist auch sie keine Garantie. Für Rück- und Notfälle gibt es deshalb auch im Anschluss das Angebot für Gespräche und Nachsorgegruppen. Der Lehrer Sven, der mittlerweile den Beruf gewechselt hat, bilanziert: "Da ich mir meiner Verantwortung bewusst bin, fühle ich mich im Umgang mit Jugendlichen sicher, und weiß, wo ich mir Hilfe holen kann, wenn ich das Gefühl habe, die Kontrolle zu verlieren."

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