Nackte Menschen - verschämt, ausgelassen, ängstlich

Köln. Niko von Glasow wollte diesen Film nicht machen. Niemals! In seinem bisherigen Leben ist er immer auf Distanz zu den "Contis" gegangen. "Ich bin denen richtig ausgewichen, weil sie mir wie die gespiegelte Karikatur meiner Selbst vorkamen." Seine Frau redete Klartext: "Niko, es wird Zeit, dass du dem Teufel in den Hintern guckst

Köln. Niko von Glasow wollte diesen Film nicht machen. Niemals! In seinem bisherigen Leben ist er immer auf Distanz zu den "Contis" gegangen. "Ich bin denen richtig ausgewichen, weil sie mir wie die gespiegelte Karikatur meiner Selbst vorkamen." Seine Frau redete Klartext: "Niko, es wird Zeit, dass du dem Teufel in den Hintern guckst." Und da hat der Contergan-geschädigte Regisseur ihn gemacht, den Dokumentarfilm "NoBody's Perfect" über Contergan-Opfer. Die ARD zeigt den mehrfach ausgezeichneten Kinofilm morgen um 22.45 Uhr. "Papa, warum gehst du mit mir nicht ins Schwimmbad?", fragt Sohn Mandel ihn in dem Film. Die Menschen im Bad "glotzen" auf die kurzen Arme, das sei ihm unangenehm. Er erkennt, dass er seine Behinderung immer verdrängt hat und entscheidet sich zur Radikalkur. Von Glasow überredet elf behinderte Mitstreiter, sich für einen Kalender fotografieren zu lassen, nackt. Tatsächlich, man glotzt als Zuschauer auf die kurzen Arme und Beine, guckt und sieht - nackte Menschen: verschämt, ausgelassen, erotisch, ängstlich, in sich ruhend. Dieser Film ist bedrückend: "Hast du schon mal an Selbstmord gedacht?", fragt von Glasow den Freund aus früheren Schultagen, Andreas Meyer. Der Mann im Rollstuhl antwortet mit einem knappen, bitteren "Ja". Das Schweigen danach dauert unerträglich lang. Der Film macht bescheiden. "Ich hätte gerne mal lange Arme, um die Hände in die Hosentasche zu stecken", sagt Sozialarbeiterin Sofia Plich. Der Film hat bissigen Humor: Etwa wenn der britische Schauspieler Matt Fraser mit dem Geld aus dem Kalender-Projekt ein "Contergan-Klo" kaufen möchte, für Menschen mit kurzen Armen wie er. "Nach dem Schiss bleibst du sitzen. Das Wasser spült hoch und duscht dir den Arsch, dann wirst du gefönt." Und der Film ist unzensiert ehrlich: "Die (Grünenthal-Eigentümer) haben die Menschen über die Klinge springen lassen, um Geld zu verdienen", sagt Andreas Meyer. Das Pharmaunternehmen Grünenthal, im Besitz der Familie Wirtz, brachte das Schlafmittel Contergan 1957 auf den Markt - eine Warnung vor Nebenwirkungen besonders bei Schwangeren gab es nicht. Also nahmen viele schwangere Frauen das Mittel, auch weil es gegen Übelkeit half - mit verheerenden Folgen: Der Wirkstoff Thalidomid störte den Wachstumsprozess vieler Ungeborener, weltweit kamen etwa 10 000 Kinder mit körperlichen Missbildungen - meist kurzen Armen und Beinen - auf die Welt.Der Wirtz-Clan weiß, welcher Film da in der ARD läuft. Von Glasow hat den Gesellschaftern eine DVD geschickt, verbunden mit der Einladung zum Gespräch. Passiert ist nichts: Keine Kontaktaufnahme, keine Erklärung, keine Klage. Die Ausstrahlung des Contergan-Spielfilms "Eine einzige Tablette" vor drei Jahren hatte Grünenthal vor Gericht erbittert bekämpft - am Ende durfte der Film gezeigt werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort