Nach Berlusconi die Sintflut?

Rom · Die italienische Regierung steht kurz vor ihrem Ende. Silvio Berlusconi zieht seine Minister ab. Jetzt hofft Premier Enrico Letta auf eine Neuauflage mithilfe von abtrünnigen Abgeordneten aus der Berlusconi-Partei.

"Operation letzte Hoffnung" wäre ein geeigneter Name für das, was in diesen Stunden in den politischen Zentralen und Hinterzimmern Roms geschieht. Es wird verhandelt, geplant, gepokert. Die Akteure der Stunde sind dabei nicht mehr Ministerpräsident Enrico Letta und Ex-Premier Silvio Berlusconi. Sie haben mit heftigen gegenseitigen Anschuldigungen am Wochenende den Bruch ihrer Koalition de facto besiegelt. Nun kommt es auf die "Verräter" an, wie man sie in der Berlusconi-Partei "Volk der Freiheit" (PdL) nennt. Es sind die Parlamentarier, die sich bislang unter Bauchschmerzen zu ihrem Chef bekannten, aber dessen jüngste Provokation, den Abzug der Minister aus der Exekutive, nicht mehr mittragen wollen. Auf dem Spiel stehen nicht nur das Ende der Regierung Letta, sondern vor allem dramatische wirtschaftliche Konsequenzen für das Land.

Die Unzufriedenen, manche sprechen von einem Dutzend Senatoren, andere von doppelt so vielen und mehr, könnten das Zünglein an der Waage bilden, wenn Premier Letta am Mittwoch die Vertrauensfrage im Parlament stellt. Das Szenario, das in Rom nun am häufigsten gespielt wird, ist das einer Neuauflage der von ihm geführten Regierung. Mit den Überläufern - vielleicht auch aus der 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo -, aber ohne Berlusconi.

Berlusconi hatte am Samstag die fünf Minister seiner Partei zum Rücktritt aufgefordert. Zwar folgten die allesamt dem moderaten PdL-Flügel angehörenden Minister dem Aufruf. Gestern hingegen gingen drei von ihnen auf Distanz. Gaetano Quagliariello, Minister für Verfassungsreformen, Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin sowie Transportminister Maurizio Lupi kündigten an, sich der neuen politischen Bewegung Berlusconis nicht anzuschließen. Dieser hatte vor Wochen die Rückbenennung der PdL in "Forza Italia" verfügt.

Berlusconi, der gestern 77 Jahre alt wurde, hatte eine Stellungnahme von Ministerpräsident Letta am Freitagabend im Kabinett als Begründung für seinen Schritt angegeben, die Minister aus der Regierung abzuziehen. Zuvor hatte Letta aufgrund der immer unsicherer gewordenen Mehrheitsverhältnisse eine Vertrauensabstimmung für diese Woche angekündigt und ein Gesetzesdekret aufschieben lassen. Darin sollte die bereits festgelegte Erhöhung der Mehrwertsteuer von 21 auf 22 Prozent vermieden werden. Am 1. Oktober tritt diese nun aber in Kraft. Berlusconi, der seinen Wählern Steuerreduzierungen versprach, macht dafür nun Letta und dessen "Demokratische Partei" (PD) öffentlich verantwortlich.

In einer für den moderaten Ministerpräsidenten ungewöhnlich harten Reaktion wehrte sich Letta gegen die Anschuldigungen Berlusconis. "Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist die Schuld Berlusconis und seiner Entscheidung, die Minister zurücktreten zu lassen", sagte Letta. Die jüngste Eskalation bezeichnete er als "verrückte und unverantwortliche Geste" Berlusconis, der nur seine persönlichen Ziele verfolge.

Nach seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs zu vier Jahren Haft entscheidet der italienische Senat über den Ausschluss des viermaligen Ex-Premiers aus dem Parlament. Seit der Verurteilung Berlusconis am ersten August hatte sich die politische Krise in Rom immer weiter zugespitzt. Abgeordnete der Berlusconi-Partei drohten mit dem Ende der Regierung für den Fall, dass ihr Patron aus dem Senat ausgeschlossen würde. Der Koalitionspartner, die linksbürgerliche PD-Partei, ging nicht auf diese Drohungen ein und brachte die Ausschluss-Prozedur gegen Berlusconi weiter voran.

Letta war gestern mit Staatspräsident Giorgio Napolitano zusammengekommen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Napolitano hatte zu verstehen gegeben, dass er zunächst keine Neuwahlen ansetzen, sondern für die Neuauflage der Regierung arbeiten werde. Diese könnte dann den bis 15. Oktober zu verabschiedenden Staatshaushalt besiegeln und das umstrittene Wahlgesetz erneuern. "Das Parlament muss diskutieren und entscheiden und sich nicht immer wieder auflösen", sagte der Staatspräsident. Italien habe nicht einen ständigen Wahlkampf nötig, sondern "Kontinuität", um die Probleme des Landes zu lösen. Wie groß deren Ausmaße sind, dürfte sich schon heute bei Börsenbeginn zeigen. Italien droht die von der EU festgesetzte Grenze zur Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht einhalten zu können. Rating-Agenturen hatten Italiens Kreditwürdigkeit zuletzt nur noch zwei Stufen über Ramsch-Niveaus eingeordnet.

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