Nach 20 Jahren rollen die Bagger

Stuttgart · Es ist ein besonderes Symbol: Im Stuttgarter Schlossgarten wird jetzt die Baugrube für den umstrittenen Tiefbahnhof Stuttgart 21 ausgehoben. Ist dies auch das Ende der beispiellosen Protestbewegung?

Einst hörte man die Gegner des umkämpften Bahnprojekts Stuttgart 21 sagen: Wenn die Baugrube im Schlossgarten ausgehoben wird, ist alles vorbei. Demnach müssten die Proteste gegen den milliardenschweren Tiefbahnhof im Stuttgarter Zentrum heute verstummen. Endgültig. Sage und schreibe 20 Jahre nach der Idee wird tatsächlich die ungeliebte Baugrube ausgehoben. Mitten im Schlossgarten, der grünen Lunge der Stadt. Dort, wo einmal Tausende um ihren alten Bahnhof kämpften und um uralte Bäume. Die sind längst gerodet. Doch die Bilder bleiben: von Demonstranten , die mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray aus dem Schlossgarten getrieben wurden. Oder die vom besetzten Nordflügel des denkmalgeschützten Kopfbahnhofs, den die Polizei räumen musste, bevor die Bagger loslegen konnten. Das war 2010. Und der Schock dieser für das gerne als bieder angesehene Stuttgart so untypischen Ereignisse sitzt noch immer tief. So tief, dass sie vom Landtag und auch vor Gericht aufgearbeitet werden.

1994, als Helmut Kohl noch Kanzler war, wurde bei der Bahn die Idee eines unterirdischen Durchgangsbahnhofs in Stuttgart geboren. Auch München oder Frankfurt wurde so etwas empfohlen, über die Jahrzehnte blieb aber nur Stuttgart 21 übrig. Freiwerdende Gleisflächen sind hier im Talkessel besonders viel wert. Erste Kostenschätzungen kamen auf rund 2,5 Milliarden Euro inklusive Anbindung des Tiefbahnhofs an eine Neubaustrecke bis Ulm. Jetzt geht man von 6,5 Milliarden Euro aus. Der Tiefbahnhof soll den Kopfbahnhof laut Bahn von Ende 2021 an ersetzen. Auch das glauben die Kritiker nicht. "Das dümpelt doch alles vor sich hin", kritisiert Matthias von Herrmann, einer der bekanntesten Projektgegner. "Aktives Bauen sieht anders aus." Bis zu 300 Gleichgesinnte will er wieder mobilisieren, um auch heute Flagge zu zeigen. Baugrube hin, Baugrube her - am Protest werde sich nichts ändern. Sie tun es beharrlich, mit Transparenten und Trillerpfeifen, bei ihren Montagsdemos. Die 232. stand gestern Abend an mit mehreren hundert Teilnehmern. 2010 gingen Zehntausende auf die Straße. Im Kern gebrochen wurde der Widerstand jedoch am 27. November 2011 mit der Volksabstimmung in Baden-Württemberg: 58,8 Prozent stimmten damals gegen einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung des Projekts - und damit für Stuttgart 21.

Der Kampf hat seinen Teil dazu beigetragen, dass sich viel verändert hat im Ländle. Im Kern ging es nicht nur um einen Bahnhof, sondern auch um den Stil der damals seit Jahrzehnten regierenden CDU . Gipfelnd im "Schwarzen Donnerstag" 2010 und der Räumung des Schlossgartens - verbunden mit dem Namen von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU ). Während die SPD , heute Juniorpartner der Koalition, weiter hinter dem Projekt steht, müssen die Grünen nun das lange Bekämpfte geschehen lassen. Einst gewichtigster Projektgegner, stellen sie heute mit Winfried Kretschmann nicht nur den Regierungschef, sondern mit Fritz Kuhn auch den Stuttgarter OB.

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