Mursi ist weg, Ägyptens Probleme bleiben

Kairo · Der Nachfolger des gestürzten Präsidenten Mursi steht vor enormen Herausforderungen. Ägyptens Wirtschaft hält mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt. Subventionen bluten die Staatskasse aus. Derzeit ist auch eine Eskalation der Gewalt auf den Straßen weiter zu befürchten.

Als hätte es noch eines Beweises bedurft: Die gewaltigen Proteste der Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi haben gestern gezeigt, welchen riesigen Herausforderungen sich die Nachfolger stellen müssen. Zehntausende waren nach dem Mittagsgebet in Kairo und anderen Städten gegen den "Militärputsch" auf die Straße gegangen. Schießereien vor der Kaserne einer Elitetruppe kosteten mindestens zwei Demonstranten das Leben. Und die Gefahr einer Gewalt-Eskalation ist nicht vom Tisch. Zumal der Führer der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, seine Millionen Anhänger inzwischen zum Dauerprotest aufgerufen hat. "Wir werden ihn (Mursi) auf unseren Schultern tragend (ins Amt) zurückbringen", rief Badia in Kairo Zehntausenden Anhängern der Bruderschaft zu: "Wir werden für ihn unsere Seelen opfern."

Aber auch ohne Blutvergießen ist die Realität des post-revolutionären Alltags hart genug. Mursi ist weg, doch die Probleme sind geblieben. Seit der Revolution im Februar 2011, die den Langzeitherrscher Husni Mubarak stürzte, wächst die Wirtschaft nur noch minimal. Neue Jobs entstanden keine. Eher stieg die Arbeitslosigkeit noch an, von 12,3 Prozent im Vorjahr auf 13,5 Prozent im ersten Halbjahr 2013. Niemand hat daran gedacht, die bitter nötigen Reformen im Schul- und Gesundheitswesen anzupacken. Die Bürokratie blieb monströs wie eh und je. Subventionen für Kfz-Treibstoffe und Grundnahrungsmittel kosten den Staat hohe Summen.

Mit Adli Mansur übernimmt ein hoher Verfassungsrichter und versierter Jurist den Posten des Interimspräsidenten. Er wird sich wohl auf die Vorbereitung von Neuwahlen konzentrieren, auf die dafür nötigen Gesetze. Die gesamte Situation lädt nicht unbedingt zu wirtschaftspolitischem Handeln ein. Die künftige Regierung, deren Zusammensetzung noch nicht bekannt ist, lenkt erneut ein Land ohne Verfassung und Parlament, mit einem Chef von Gnaden des Militärs. Auch ausländischen Investoren flößt das kein Vertrauen ein.

Die einjährige Herrschaft Mursis hat die Situation noch verschlimmert. Die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds über einen Kredit im Umfang von 4,8 Milliarden US-Dollar kamen nicht von der Stelle. Befreundete Länder wie Katar sprangen mit Milliarden-Hilfen ein - es ist ungewiss, wie lange diese Großzügigkeit noch anhält. Die Inflation stieg auf über acht Prozent und könnte im nächsten Jahr auf 14 Prozent klettern.

Vor den Wahlen 2012 köderte Mursis Muslimbruderschaft die Wähler mit dem wohlklingenden Nahda-(Renaissance-)Projekt für mehr Arbeitsplätze und die Überwindung der Armut. Zu spüren ist davon nichts. Gut die Hälfte der Bevölkerung lebt weiter unter der Armutsgrenze von zwei Dollar am Tag. Acht Prozent des Staatsbudgets verschlingen allein die Subventionen für Benzin und Diesel. Auch die Islamisten wagten nicht daran zu rühren, aus Furcht vor dem Zorn jener Menschen, die ein Auto besitzen und billigen Treibstoff als ein Menschenrecht betrachten. Zuletzt kam es zu Engpässen an den Tankstellen.

Und Ägyptens Bevölkerung wächst weiter. Um einigermaßen annehmbare Perspektiven zu schaffen, müsste die Wirtschaft um acht Prozent im Jahr wachsen. In den letzten Jahren unter Mubarak waren es fünf, zuletzt unter Mursi zwei Prozent.

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